Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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13SEP2019
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Er hat nicht den besten Ruf. Wo immer er auftritt, misstraut man ihm erst mal. Und man sagt ihm nach, er sei oft faul. Ichspreche vom: Kompromiss. Keiner mag ihn, aber jeder braucht ihn. Im Privaten, im Beruf, in der Politik, kein Lebensbereich würde funktionieren, wenn Menschen nicht fähig wären, aufeinander zuzugehen und Kompromisse zu schließen. 

Ein bekannter Spruch sagt: "Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind."[1] Da ist was dran, denn jeder der Kontrahenten hat ja am Ende das Gefühl, nachgegeben zu haben. Und dieses Gefühl ist auch der Grund, weshalb der Kompromiss nirgendwo so richtig beliebt ist. Aber so ein schlechtes Image hat er nicht verdient, denn ein guter Kompromiss ist eben keine Niederlage, sondern ein Sieg. Ein Sieg der Vernunft, des Gemeinsinns, oft sogar des Friedens über einen drohenden Krieg. Deshalb habe ich mir vorgenommen, den Kompromiss mal mit neuen Augen anzuschauen, ihn  aufzuwerten und höher zu schätzen als ich es lange Zeit getan habe. Dazu habe ich mir bewusst gemacht, was ich im Alltag für einen guten Kompromiss brauche. 

Erstens: Unterschiedliche Menschen sind unterschiedlicher Meinung, weil jeder von ihnen seine ganz eigene Geschichte hat, die sein Leben und seine Überzeugungen prägt. 

Zweitens: Alle haben das Recht und den Anspruch, dass ihre Bedürfnisse wahrgenommen und ernstgenommen werden. Keiner ist wichtiger als der andere. Deshalb versuche ich, mich soweit wie möglich in die Situation des andern hineinzuversetzen. 

Drittens: Ein guter Kompromiss ist kein Wettbewerb, der Sieger und Besiegte hinterlässt. Es geht darum, dass alle sich bewegen und Maximalforderungen aufgeben. 

Viertens: Auch der beste Kompromiss wird nicht die absolute Gerechtigkeit schaffen und schon gar nicht den Himmel auf Erden. Solange ich unter irdischen Bedingungen lebe, gibt es keine Perfektion. Nicht nur ich bin unvollkommen, auch andere sind es und alles, was wir miteinander hinbekommen, mal besser, mal schlechter. Damit muss ich leben. Und gerade das motiviert mich, zu schauen, was denn möglich und machbar ist - und das dann auch zu versuchen. 

Für mich als Christin gibt es auch noch ein fünftens: Einen ehrlichen und echten  Kompromiss zu finden, ist für mich eine Voraussetzung für Gerechtigkeit und Frieden. Und eine unscheinbare Gestalt von Nächstenliebe. Aber eine umso so wichtigere.



[1]      Aristide Briand,1862 - 1932, französischer Politiker und Friedensnobelpreisträger

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29363
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