SWR4 Sonntagsgedanken

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08SEP2019
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Guten Morgen! - Wie oft wohl schon hat er diese Geschichte erzählt? Wie das war damals. Das wird Pfarrer Klaus Mayer immer wieder gefragt. Wie das war - mit dem großen Künstler Marc Chagall und den Kirchenfenstern in St. Stephan in Mainz. Und er wird nicht müde zu antworten. Seine Augen leuchten, wenn er davon erzählt: Von Marc Chagall und dessen Frau Vava. Sie hat ihm Mut gemacht: „Man muss nur glauben, dann wird es auch!“, hat sie gesagt, als er als Pfarrer die verwegene Idee hatte, dass Chagall die Fenster von St. Stephan gestalten könnte.

Er berichtet von einem Brief, den er an den Künstler geschrieben hat; von der ersten Begegnung und den vielen, die dann folgten und zur Freundschaft wurden. Ihm ist es ein Herzensanliegen, wenn er erzählt von der Kunst und immer aktuellen biblischen Botschaft der Fenster; wenn er erzählt vom christlich-jüdischen Dialog, der ihm, dem Priester und Sohn eines jüdischen Vaters, so wichtig ist; von Frieden und Versöhnung nach dem Krieg und von einer himmlischen Sehnsucht, von der man im tiefen Blau der Kirchenfenster von St. Stephan in Mainz schon etwas ahnen kann.

Hunderttausende kommen jährlich in die Kirche in Mainz, um ihr „blaues Wunder“ zu erleben. Auch ich bin immer wieder gern dort. Ich bin beeindruckt vom tiefen Blau. Beeindruckt von der Vielfalt der Farben in diesem Blau. Beeindruckt von den biblischen Motiven von der Schöpfung bis zur Vollendung der Welt, die je nach Tageszeit von den Sonnenstrahlen durchflutet werden und ihren Widerhall dann im Kirchenraum finden. Beeindruckt aber auch von Klaus Mayer, diesem kleinen, fast unscheinbaren Mann, der da mit seinen 96 Jahren am Mikrofon im Mittelgang steht.

Mit manchmal leiser, manchmal sich überschlagender Stimme erzählt er begeistert und begeisternd von dem, was man da sieht: Da sind Frauen und Männer aus der Bibel in den Fenstern dargestellt: Adam und Eva, David und Batseba, Deborah und Elija, Maria und Jesus. Ein Motiv haben Sie vielleicht schon als Briefmarke in der Hand gehabt: Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm: Das war in himmlischem Blau die Weihnachtsbriefmarke im letzten Jahr. Maria mit dem Kind im Arm ist im selben Fenster zu sehen, in dem daneben etwas größer auch das Kreuz steht. Das Kreuz, an dem Jesus mit ausgebreiteten Armen dann selbst den Betrachter in die Arme zu schließen scheint: Grenzenlose Liebe bis in den Tod! Und immer wieder ist da in den Fenstern der Regenbogen zu sehen: Das Zeichen, das Himmel und Erde, Gott und Menschen verbindet. Klaus Mayer berichtet begeistert davon: „Die Fenster machen uns so froh“, hört er immer wieder von Besuchern. Und ihm geht es genauso: Die Farben, die Motive, die Botschaft. Die spielen zusammen in eine Predigt in Bildern. Das trifft ins Herz. Für Klaus Mayer und viele Besucher von St. Stephan ist das – ganz wörtlich und in mehrfacher Hinsicht - einfach wunderbar.

 

Teil 2:

Heute geht es in den Sonntagsgedanken um die bleibende biblische Botschaft der Chagall-Fenster in der Kirche St. Stephan in Mainz. Vor 40 Jahren wurden die beiden flankierenden Mittelfenster eingebaut und eingeweiht. 

Der jüdische Künstler Marc Chagall rückt mit seinem Werk die christliche Botschaft in den Blick. So erinnert er an das, was die Religionen im Glauben verbindet. Dass er als russisch-französischer Künstler für eine deutsche Kirche arbeitet, ist auch ein Zeichen der Versöhnung zwischen den einst verfeindeten Nationen. Das ist auch ein starkes Zeichen gegen Antisemitismus und Nationalismus, die heute leider wieder aktuell geworden sind. Da erinnert das Werk von Marc Chagall daran, dass Frieden über alle Grenzen von Religionen und Nationen hinweg ein Kernanliegen der Kirche ist. Und auch, wenn das Kreuz von manchen missbraucht wird für pseudoreligiöse Zwecke, um sich abzugrenzen und über andere zu erheben. „Biblische Botschaft ist immer brandaktuell“. Das ist so ein Satz, den ich von Pfarrer Mayer gehört habe. Er schlägt in seinen Meditationen zu den Fenstern im Lob der Schöpfung den Bogen zu den ökologischen Katastrophen unserer Tage. Er schlägt den Bogen von der biblischen Botschaft der grenzenlosen Liebe Gottes zu den Gefahren durch Hass, Abgrenzung und Nationalismus. Klaus Mayer tut es auch, weil er selbst als Sohn eines jüdischen Vaters am eigenen Leib erfahren hat, was Menschen Menschen antun können, wenn sie sich durch menschenverachtende und gottlose Ideologie treiben lassen.

Viele seiner Familienangehörigen wurden in der Nazizeit ermordet oder haben sich verzweifelt das Leben genommen. So kann man die weiteren Kapitel der Lebensgeschichte von Klaus Mayer besser verstehen. Auch die Geschichte der Fenster von St. Stephan vom jüdischen Künstler Marc Chagall: Trotz aller Leiden und Abgründe der Menschheitsgeschichte, die es bis heute gibt - und die der Künstler nicht beiseite gelassen hat, sind es Bilder, die froh machen - heilsam sind. Sie erzählen ganz wörtlich „Heilsgeschichte“ von Gott mit den Menschen. Wie sagte Vava Chagall, die Ehefrau des Künstlers, zu Klaus Mayer: „Man muss nur glauben, dann wird es auch!“ Vielleicht ist auch das eine Botschaft für heute, die auch in den Fenstern steckt. Dass mit menschlichem Tun und mit Gottes Hilfe aus der Kraft des Glaubens und Vertrauens so manches mehr möglich wird als erwartet: Strahlend und wunderbar. Wie das blaue Wunder von Mainz.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29351
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