SWR2 Wort zum Tag

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Ich habe bisher noch keinen Promi beerdigt, aber trotzdem schon viele bedeutende Menschen. In der Regel kenne ich die Verstorbenen nicht und erfahre erst im Trauergespräch von ihren Angehörigen, was für Menschen sie gewesen sind. Mit allem, was die Familie erzählt, entsteht nach und nach ein Bild.

In vielen Fällen spüre ich, wie sehr es die Angehörigen schmerzt, einen geliebten Menschen verloren zu haben. Im Moment des Abschieds wird ihnen besonders bewusst, was sie ihr oder ihm alles verdanken. Es gibt Gespräche, die vor allem von diesem Schmerz und der Dankbarkeit geprägt sind. Die Konflikte, die es bestimmt auch gegeben hat, spielen keine Rolle mehr. Sie treten in den Hintergrund, werden unwichtig.

Aber es gibt auch ganz andere Gespräche. Da sprechen die Angehörigen manchmal erst zögerlich dann aber auch ganz offen darüber, was schwierig war. Sie berichten, wer sich mit wem in der Familie überworfen hat. Warum es Zeiten gab, in denen der Kontakt schwierig oder sogar zeitweise ganz abgebrochen gewesen ist. Sie sprechen davon, was sie oder andere verletzt und gekränkt hat.

Erstaunlicher Weise tun sie das meistens behutsam, zumindest, was die Rolle des Verstorbenen angeht. Sie bemühen sich zu verstehen, warum die eigene Mutter in manchem anders war, als sie sich das vielleicht gewünscht haben. Weshalb der Vater seine Eigenheiten hatte, die in der Familie regelmäßig für Spannungen gesorgt haben. Sie klagen nicht wütend an und rechnen nicht eiskalt ab. Sie formulieren das sorgsam: „er konnte halt schlecht Gefühle zeigen“, „das war halt ihre Art, mit den Dingen umzugehen.“

Ein lateinisches Sprichwort mahnt: „Über die Toten soll man nur Gutes reden.“ Ich halte das für falsch, wenn es nicht ehrlich ist.

Daher beeindruckt es mich, wenn Angehörige auch über das sprechen, was nicht gut war. Meistens machen sie es vorsichtig und wertschätzend. Das liegt vielleicht daran, dass der Tod den Blick auf das ganze Leben lenkt. Manches Verhalten, über das sie sich in der konkreten Situation maßlos aufgeregt haben, wird auf einmal verständlicher. Manches bleibt vielleicht auch unverständlich, aber irgendwie scheint sich die Perspektive darauf geändert zu haben. Es ist eine Perspektive, in der es ein bisschen besser gelingt zu akzeptieren, dass Fehler, Schwächen und Konflikte zum Leben eines Menschen dazugehören.

Am Ende der Beerdigung verneige ich mich vor dem offenen Grab und verneige mich damit zugleich vor dem Leben dieses Menschen. Ich empfinde dabei großen Respekt und hoffe, dass einer mit mir auf dieses Menschenleben schaut, der alles versteht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29264
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