Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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12JUL2019
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So radikal, das geht doch nicht, habe ich lange gedacht. Wie Jesus da in der Bibel redet. Heute finde ich: Vielleicht hat er recht, wenn er sagt:

21 »Ihr wisst, dass unseren Vorfahren gesagt worden ist: ›Wer einen Mord begeht, der gehört vor Gericht.‹ Ich sage euch aber: Schon, wer zu seinem Bruder oder seiner Schwester ›Dummkopf‹ sagt, gehört vor Gericht. Und wer ›Idiot› sagt, der gehört ins Schattenreich der Toten.(Matth. 5,21ff)

Jesus warnt: Aufpassen, wie Du über Menschen redest. Hassworte verletzen, können töten, wer sie gebraucht, macht sich schuldig.

Ich habe überlegt: Was passiert eigentlich, wenn ich jemand beschimpfe. Ich entwürdige ihn. Ich glaube, es ist immer dasselbe Muster, in Variationen. Ich nehme mal drei Beispiele. Wenn ich zu jemand sagen würde: „Du Arsch“. Dann reduziere ich ihn auf ein Körperteil. Und sicher nicht auf sein bestes.

Wenn ich jemand „Idiotin“ nennen würde, dann pick ich mir eine Schwäche raus. Vielleicht war sie in einem Moment mit dem Kopf nicht ganz da, aber diese Schwäche blase ich so auf, dass alles andere völlig verschwindet.

Und die dritte perfide Art, jemand zu entmenschlichen, ist ihn zum Tier zu erklären. „So eine Ratte“. Die Nazis haben jüdische Menschen verbal entmenschlicht und das war der erste Schritt, sie umzubringen. Ich würde gern wissen, was hat der Mörder von Walter Lübcke, dem Regierungspräsidenten in Kassel, über Jahre von ihm gedacht, bis er sogar so weit war, dass er ihn erschießen konnte.

Wer einen Menschen beschimpft, entmenschlicht ihn. Jetzt versteh ich, warum Jesus in der Bergpredigt so radikal ist: „Ich sage Euch, schon wer zu seinem Bruder oder seiner Schwester, „Dummkopf“ sagt, gehört vor Gericht.“ Jesus will nicht, dass wir Menschen Gewalt antun. Er wusste anscheinend. Worte sind immer schon Taten. Gewalt fängt mit Worten an. Und oft ist es von da an kein weiter Weg mehr zu Mord und Totschlag.

Kann man von Jesus auch positiv lernen?
Zuerst vielleicht: Finde für den anderen immer Worte, die ihn nicht reduzieren auf die Schwachstelle oder einen Mangel. Und wenn es passiert, dann nimm es zurück. Finde das größere Wort. Eines das zeigt: Jeder Mensch ist immer mehr als seine misslungenen Taten oder Worte. Wer behindert ist, ist ein ganzer Mensch. Eine Politikerin. Ihre Politik kann ich kritisieren, ok. Aber ihr höher anrechnen, dass sie sich engagiert. Und erst recht sagen, sie ist eine Frau, ein Mensch. Und das gilt auch für jemand, der rechtsradikal denkt und redet. Man muss ihm entgegentreten, widerstehen, aber ihn nicht entmenschlichen.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28971
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