Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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18MAI2019
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„Meine Mannschaft hat die Zweikämpfe nicht angenommen“, sagen Fußballtrainer manchmal nach einem verlorenen Spiel. Sie meinen damit, dass ihre Spieler sich aus dem Spiel rausgehalten haben. Vielleicht weil sie gedacht haben, dass sie das Spiel auch ohne Kampf und Einsatz gewinnen. Die Trikots sind nach so einer Partie sauber, und Blessuren gibt es auch keine. Aber das Spiel ist an den Spielern vorbeigegangen. Und sie haben verloren.

Ich frage mich, ob nicht auch das Leben an einem vorbeigehen kann wie so ein Fußballspiel. Nämlich dann, wenn man möglichst allen Herausforderungen aus dem Weg geht. Dann hat man es zwar leicht. Aber das Leben bleibt irgendwie leer.

Ich beobachte: Menschen, die ein erfülltes Leben haben, haben sich auch den Herausforderungen gestellt, auch wenn das nicht immer einfach war. So war das auch bei dem evangelischen Pfarrer Gustav Werner.

Gustav Werner hat im 19. Jahrhundert gelebt, in der Zeit der Industrialisierung. Überall sind Fabriken entstanden und haben die Handwerksbetriebe verdrängt. Die Folge waren Armut und Arbeitslosigkeit. Gustav Werner hat das als Herausforderung gesehen und sie angenommen. Zuerst hat er in seiner Gemeinde in Walddorf einen Kindergarten und eine Mädchenschule eingerichtet. Dann hat er in Reutlingen eine Genossenschaft gegründet. Waisenkinder und andere Hilfsbedürftige haben dort in der Landwirtschaft und in Handwerksbetrieben gearbeitet und sich so selbst versorgt. Und schließlich hat Gustav Werner eine christliche Fabrik aufgebaut. Dort bekamen die Arbeiter einen angemessenen Lohn, wurden am Gewinn beteiligt, hatten begrenzte Arbeitszeiten und bekamen eine Kranken- und Altenversorgung.

Dieses Engagement hat bei Gustav Werner aber auch Blessuren hinterlassen. Die Kirchenleitung hat Gustav Werner aus dem Pfarrdienst geworfen, weil er zum Beispiel über die Dreieinigkeit Gottes anders gedacht hat als die Kirche. Und auch als Unternehmer musste Gustav Werner einstecken. Er geriet in eine finanzielle Notlage, und musste sich von seiner christlichen Fabrik trennen.

Aber das macht das, was er erreicht hat, nicht kleiner, finde ich. Trotz dieser Schläge gilt Gustav Werner als einer der Begründer der Diakonie und als einer der großen Sozialreformer des 19. Jahrhunderts. Seine Stiftung gibt es bis heute. Und die Bruderhausdiakonie, die auf Gustav Werner zurückgeht, setzt sich bis heute für behinderte und benachteiligte Menschen ein.

Ich finde, Gustav Werner ermutigt einen, die Herausforderungen des Lebens anzunehmen und nicht immer nach dem leichten Weg zu suchen. Auch im Alltag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28638
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