Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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15MAI2019
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„Wir werden verletzt geboren“. Das sagt Julia, die Hauptperson in Daniel Specks Roman Bella Germania. Julia ist mit einer Lüge aufgewachsen. „Dein Vater ist gestorben“, hatte ihre Mutter ihr schon als kleines Kind erzählt. Aber das hat nicht gestimmt. Nachdem er sich von Julias Mutter getrennt hatte, hat der Vater immer wieder versucht, Kontakt zu Julia aufzunehmen. Aber die Mutter hat alle Briefe abgefangen und vor Julia verheimlicht. Und so ist Julia allein mit ihrer Mutter und deren wechselnden Lebenspartnern groß geworden.

Aber Julia hat sich immer nach einem Vater gesehnt. Diese Lücke versucht sie durch Arbeit und Ehrgeiz zu füllen. Die kaputte Beziehung ihrer Eltern und das, was sie als Kind erlebt hat, bestimmen Julia auch noch als erwachsene Frau. Man kommt nicht „als unbeschriebenes Blatt auf die Welt“, sagt sie, „wir werden verletzt geboren und versuchen ein Leben lang heil zu werden“.

„Wir“, sagt Julia. Und ich glaube, sie hat Recht. Wie ihr geht es eigentlich jedem Menschen. Niemand startet bei null. Jeder Mensch wird hineingeboren in eine unvollkommene, verletzte Welt. Und er wächst unter Menschen auf, die Fehler machen und unehrlich sind wie Julias Mutter. Dabei meinen es die Väter und Mütter oft gar nicht böse, sondern machen es so gut, wie sie es halt können. Auch Julias Mutter hat gedacht, es sei das Beste für ihre Tochter, wenn sie nichts von ihrem kriminellen Vater erfährt und keinen Kontakt zu ihm bekommt.

Ich glaube, diese unguten Beziehungen, in die Kinder hineingeboren werden, das ist genau das, was der christliche Glaube „Erbsünde“ nennt. Erbsünde, also vererbte Sünde, das sind diese tragischen, ungewollten Verletzungen, die eine Generation an die andere weitergibt. So machen Eltern ihren Kindern das Leben schwer. Und die wieder ihren Kindern.

Vergebung der Sünde heißt dann: Gott nimmt mir diese geerbte Last ab. Nicht indem er sie ungeschehen macht. Aber Gott kann mir helfen, sie zu akzeptieren und mit ihr umzugehen. So dass ich trotz allem einen guten, eigenen Weg durchs Leben finde. Er möchte, dass ich mich mit meinen Eltern aussöhnen kann. Und dass ich auch das Gute sehe, das sie mir mitgegeben haben.

Julia gelingt das im Roman. Sie lernt ihren Vater und dessen Familie kennen. Sie kann ihrer Mutter vergeben. Und sie erkennt, dass ihre Familie sie auch stärkt und trägt. Am Ende kann sie dankbar sagen: „Das Buch unseres Lebens müssen wir nicht allein schreiben. Es wird mitgeschrieben von denen, die um uns sind und fortgesetzt von unseren Kindern“.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28635
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