Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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13MAI2019
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„Verzeih mal wieder“, konnte man früher auf Schildern entlang der Autobahn lesen. Aber Verzeihen ist ganz schön schwer. Das habe ich neulich wieder gemerkt. Als mir ein Raser auch noch den Mittelfinger gezeigt hat, habe ich keine Sekunde an Verzeihen gedacht. Stattdessen habe ich mir ein Auto gewünscht, wie es James Bond hat – mit Raketen und einem roten Abschussknopf … aber zum Glück habe ich ja nur einen Golf mit Klimaanlage.

Vergeben ist schwer. Ich glaube, das geht vielen Menschen so. Und vielleicht fällt es uns Männern noch ein bisschen schwerer als den Frauen. „Gott vergibt… Django nie“ heißt ein Italowestern aus den 60ern mit Terence Hill als gnadenlosem Rächer. Echte Männer vergeben nicht, sie schlagen zu.

Vielleicht wird Jesus deshalb auf Gemälden immer so sanft dargestellt. Die Maler haben wohl gedacht: Wer die Menschen zur Vergebung auffordert, der muss ein Softi sein. Das war Jesu aber gar nicht. Er war Zimmermann. Bevor Jesus Wanderprediger wurde, hat er auf dem Bau gearbeitet. Er hat gewusst, wie es zugeht im echten Leben. Und die Männer, die mit ihm gezogen sind, die haben das auch gewusst. Die meisten von ihnen waren Fischer. Sie waren es gewohnt, mit harten Bandagen durchs Leben zu gehen.

Auch diesen Männern ist es sicher nicht leicht gefallen, zu vergeben. Einer von ihnen, Petrus, hat Jesus einmal gefragt: „Wie oft muss ich denn jemandem vergeben, wenn er mir Unrecht tut? Ist siebenmal genug?“ (nach Matthäus 18,21) Wahrscheinlich hat Petrus gedacht, dass siebenmal schon zu viel ist. Aber Jesus hat geantwortet: „Nicht siebenmal, sondern sieben mal siebzig mal“.

Ich glaube, Jesus wollte damit sagen: Vergeben ist immer der bessere Weg. Er war davon überzeugt: Vergebung sollte nicht die Ausnahme sein. Sondern die Bereitschaft zu vergeben sollte eine Grundhaltung sein, mit der Menschen sich begegnen. Mitten im echten Leben mit all seinen Reibungspunkten. Denn die Alternative zum Vergeben ist Vergelten. Dann schaukeln sich ein Konflikt immer weiter hoch.

Dazu kommt: Wenn ich vergebe, tue ich auch mir selbst etwas Gutes. Wie ich mit anderen umgehe, ist nämlich ein Spiegel dafür, wie ich mit mir selbst umgehe. Wenn ich anderen ihre Schwächen und Fehler verzeihen kann, dann kann ich mir auch selbst besser verzeihen. Wenn ich mit anderen gnädig bin, dann bin ich es auch mir selbst.

Ein paar Stunden nach der Sache mit dem Raser war mein Ärger übrigens wieder verflogen. Eigentlich wollte ich ihn anzeigen, aber das habe ich dann doch gelassen. Ich würde sagen: Ich habe ihm tatsächlich vergeben. Das nächste Mal mach ich das früher.

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