SWR2 Wort zum Tag

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Was für ein Kunstwerk ist doch ein blühender Apfelbaum! Jetzt im Frühling fange ich wieder an zu staunen über die Natur, die um mich herum zum Leben erwacht. Die bunten Tulpen und Hyazinthen, das saftig grüne Gras, die pfeifenden Vögel – es ist mir nicht möglich, da gleichgültig dran vorbei zu gehen, wenn ich draußen unterwegs bin.

Eigentlich gäbe es aber noch viel mehr Gelegenheit zum Staunen. Immer und überall, nicht nur unterwegs und im Frühling. Ein Gedanke des Kirchenvaters Augustinus hat mich darauf gebracht. Er stammt aus dem 5. Jahrhundert nach Christus und klingt, finde ich, ziemlich modern:

Die Menschen, wundert sich Augustinus, machen weite Reisen, um zu staunen über die Höhe der Berge, über die riesigen Wellen des Meeres, über die Länge der Flüsse, über die Weite des Ozeans und über die Kreisbewegung der Sterne. An sich selbst aber gehen sie vorbei, ohne zu staunen.

Die Beobachtung von Augustinus hat mich angeregt, genau hinzuschauen: Es stimmt ja. Jeder Mensch ist ein staunenswertes Wesen. Und wenn ich die Menschen, die mir begegnen, wirklich wahrnehme, sie ansehe, ihnen zuhöre, dann bereichert mich das: Die tiefen Falten im Gesicht des alten Mannes, die aus einem langen Leben erzählen. Der lebenskluge Satz eines Zehnjährigen, der mich kurz aus dem Konzept bringt. Das gluckernde Lachen des vierjährigen Mädchens über einen ganz einfachen Spaß. Die Ausdauer der Joggerin, die mit ruhigem Atem und gleichmäßigen Schritt die Steigung nimmt. Die freundliche Geduld, die der Zugbegleiter ausstrahlt, ganz egal, wie aufgebracht die Fahrgäste sind.

Die Menschenmachen weite Reisen, um zu staunen über die Höhe der Berge, über die riesigen Wellen des Meeres… An sich selbst aber gehen sie vorbei, ohne zu staunen.

Dieser Satz von Augustinus wird mich begleiten, wenn ich mich in diesen Tagen an der Schönheit der frühlingshaften Natur freue – und mich daran erinnern, auch über uns Menschen zu staunen. Über die, die ich treffe. Und manchmal auch über mich selbst, wenn ich mir im Spiegel begegne. Dann kann ich vielleicht auch die Worte aus Psalm 139 nachempfinden, die davon sprechen, wie staunenswert auch ich bin – und sie nachbeten:

Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele. (Psalm 139,14)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28540
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