SWR2 Zum Feiertag

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Alexander Foitzik: Am heutigen Karfreitag spreche ich mit dem katholischen Moraltheologen von der Universität Bonn, Jochen Sautermeister. Herr Professor Sautermeister, Sie sind promovierter katholischer Theologe und Psychologe. Sie haben einen Lehrstuhl für Moraltheologie, einen besonderen Schwerpunkt legen Sie dabei auf die Moralpsychologie.

Vielen von uns sind die Glaubensaussagen von Karfreitag eher fremd. Wir können kaum verstehen wie und von was Jesus uns erlöst haben könnte, in diesem grauenvollen Tod. Wie lässt sich heute die „erlösende Tat“ Jesu am Kreuz verständlich beschreiben? Oder sollen wir uns von den ganzen traditionellen Aussagen verabschieden?

Jochen Sautermeister:Die Rede von der Erlösung von Jesus am Kreuz kann ich eigentlich nur verstehen - und ich glaube lässt sich auch nur verstehen -  wenn wir uns fragen: Wovon brauchen wir eigentlich oder wünschen wir uns Erlösung? Was liegt uns schwer im Leben? Was belastet uns? Was steht so quer bei uns? Was setzt uns so unter Druck und ist so unversöhnt, unerlöst, dass wir uns Erlösung wünschen? Und ich glaube, da muss es ansetzen. Eigentlich bei der Erfahrung von unserer Unerlöstheit.

Wie kann man das heute sagen? Diese theologischen Bilder und theologischen Denkfiguren - Gott, der Genugtuung will oder Gott, der durch sein Blut versöhnt in Jesus, oder der sich am Kreuz opfert - ich glaube, die können wir nur verstehen, wenn wir heute fragen: Wo suchen wir Erlösung? Und ich glaube, das ist ganz vielfältig und sehr weit. Das eine ist, denke ich, zum einen, wenn wir nur hinausschauen was passiert. Hinaus nicht nur aus den eigenen vier Wänden, sondern auch in die eigenen vier Wände, ins eigene Leben. Gewalttaten, Kriege, Hunger, Menschenverachtung, Verletzung von Menschenrechten aber auch ganz konkret die Fragen für einen selber: Wo merke ich, bin ich unfrei? Bin ich unter Zwang? Sehe ich in mir Lebloses? Sehe ich in mir Seiten, die so unerlöst sind? Aber auch im Miteinander zwischen Menschen. Also für mich ist die Frage: Wo sind wir wirklich existenziell erlösungsbedürftig? Und ich glaube, da kommen wir nur hin, wenn wir wirklich sehen, wie radikal wir eigentlich in unserem Leben auch an unsere Grenzen stoßen.

Alexander Foitzik: Wenn wir auf die Frömmigkeitsgeschichte zurückblicken: Hatte der Karfreitag nicht immer auch eine problematische Bedeutung? Nämlich dass mit dem Leiden Jesu auch das Leid und das Leiden der Menschen sozusagen verherrlicht, verklärt und überhöht wurde?

Jochen Sautermeister: Ich glaube, die Gefahr besteht tatsächlich. Die Gefahr, dass durch die Verklärung vom Leiden Jesu auch noch viel Weiteres verfolgt wird, was wir eigentlich uns nicht wünschen, z. B. problematische Gottesbilder. Was für einen Gott stellen wir uns vor? Und an was für einen Gott glauben wir, dass er wirklich das Leiden will? Oder auch  problematische Vorstellungen von Erlösung, so als ob Gott es nötig hätte, seinen Sohn sozusagen als Lösegeld zu uns zu schicken. Das waren Denkfiguren, die vielleicht zu manchen Zeiten noch eher gepasst haben, aber ich halte sie für sehr problematisch. Schwierig wird es, wenn es um Leidensverherrlichung geht. Und ich glaube, dann spalten wir etwas ab. Dann spalten wir eigentlich die Seite ab, dass es im Glauben um Leben geht, um Lebendigkeit, um Versöhnung, um Leben-können mit Grenzen, um Perspektiven, die Grenzen überwinden und alle Spaltung überwinden. Und da ist eine Leidensverherrlichung - finde ich - sehr problematisch.

Alexander Foitzik: Der Karfreitag ist eingebettet in die so genannten Heiligen drei Tage. Wie wichtig ist es dann, den Karfreitag als eigenständigen Feiertag zu begehen, und nicht nur sozusagen als Vorspiel vor Ostern? Wir wissen ja wie die Geschichte ausgeht…

Jochen Sautermeister: Ich glaube, den Karfreitag als eigenständigen Feiertag zu feiern ist deshalb so wichtig, wenn man sich überlegt, worum es am Karfreitag geht. Das ist ja radikal, das ist ja eigentlich atemlos, das ist eigentlich schockierend: dass da Jesus am Kreuz stirbt. Wenn man sich versucht hineinzuversetzen, was es war - da war ja alles aus, abgebrochen, Entsetzen, und eigentlich müsste man an Karfreitag unter Schock sein. Und insofern ist es gut, Karfreitag auch als eigenen Feiertag zu feiern - und wirklich in der Abgründigkeit, was am Karfreitag passiert ist, auch sich daran zu erinnern und es sich zu vergegenwärtigen. Auch im Hinblick auf die Menschen, die diese Erfahrung vom Karfreitag heute machen, ohne die Hoffnung auf Ostern zu haben.

Alexander Foitzik: Herr Professor Sautermeister, Sie sind auch Psychologe und legen in Ihrer Forschung und Lehre einen Schwerpunkt auf die Moral-Psychologie, und Sie haben lange Jahre als ausgebildeter Berater in der Familien- und Lebensberatung gearbeitet.
Kann da Karfreitag auch etwas Tröstliches haben? Oder wie kann da der Karfreitag auch eine befreiende, auch eine therapeutische, heilsame Botschaft für uns Zeitgenossen haben?

Jochen Sautermeister: Die Erfahrung, dass Jesus am Kreuz sich von Gott verlassen fühlte, glaube ich, kann ganz besonders für Mensch tröstlich sein. Tröstlich in dem Sinn, dass da jemand ist, der wirklich bis zum Äußersten versteht mitzuleiden. Der weiß was es bedeutet, ganz verlassen zu sein. Und für solche Menschen, die in dieser Notlage sind, kann die Erfahrung - da ist jemand, der kennt mein Leiden, der kann mitfühlen - glaube ich eine ganz wichtige Erfahrung sein. Nicht im Sinne, dass es Trost ist, der zugesprochen wird, sondern dass es nicht mehr in Worte zu fassen ist, mit dabei sein und mit aushalten. Das scheint auch ohnehin etwas ganz Wichtiges auch von der Grunddimension der therapeutischen Botschaft des Glaubens zu sein. Nämlich dass wir gerade in den ganz tiefen existenziellen Erfahrungen von tiefster Verzweiflung, Depression, tiefster Angst, dass in dieser Erfahrung vielleicht Worte gar nicht weiterhelfen. Sondern, dass es darum geht, dass jemand dabei ist, der mitfühlt, der mit aushält, der nicht wegläuft. Und dass in diesem Dabeisein auch spürbar wird: kein Wort ist eigentlich hinreichend um zu sagen, worum es geht. Dass jeder einzelne Mensch, den es gibt und der da ist, dass es gut ist, auch wenn er in keiner Weise -  dieser Mensch - es spürt oder erlebt. Und hier glaube ich, kommen dann die nicht gesprochenen Worte, das Schweigen, das Dabeisein zu ihrer Bedeutung. Ich möchte es noch anders formulieren. Wenn jemand in der größten Not und Verzweiflung jemand hat, der ihn begleitet und wirklich mitgeht und mitfühlt und mit in die Tiefen hinabsteigt - bildlich gesprochen - dann ist auch implizit etwas dabei von Sinn: ich geh mit dir, oder die Erfahrung machen, jemand geht mit mir, kann tröstlich sein.

Alexander Foitzik: In geistlichen Schriften der Kirche hieß es früher oft: Wir Christen sollen mit Blick auf das Kreuz und den Gekreuzigten alles freudig und dankbar vor allem auch dankbar annehmen: das woran wir leiden, das, was uns schmerzt und im letzten auch, dass wir sterben müssen. Sind solche Ausforderungen nicht auch sehr ambivalent, womöglich sogar gefährlich? Oder kann eine solche Botschaft nicht auch sehr leicht missbraucht werden?

Jochen Sautermeister:Ja ich glaube, auch diese Botschaft ist ambivalent und ist in Gefahr, verzehrt zu werden bzw. missbraucht zu werden. Weil damit noch nicht gesagt wird, um welches Leid es geht. Und ich glaube, dass wir uns gerade in der gegenwärtigen Zeit ganz viel damit auseinandersetzen müssen: was bedeutet es, welche Seite ist unvermeidlich, mit welchen Leiden müssen wir leben, weil es zum Leben dazugehört. Aber welches Leid ist auch unnötig, darf nicht verklärt oder verherrlicht werden. Und das scheint mir ganz wichtig zu sein, hier zu unterscheiden. Und es gibt auch die Form der Lust im Leid, sozusagen sich selbst zu stilisieren. Weil man das Leid erträgt, sich doch nochmals erhoben oder besser zu fühlen. Also man könnte sagen: Leiden als eine Form der Selbstbestätigung in einer sadomasochistischen Weise. Und ich glaube das ist ein Thema, diese idealisierende Erhöhung, mit dem wir uns in der Kirche, in der Gegenwart viel auseinandersetzen müssen. Damit wir nicht in einer Leidverherrlichung oder Überhöhung und einer ungesunden Idealisierung - und auch meines Erachtens Idealsierungen, die wirklich nicht drauf vertrauen, das Leben anzunehmen – damit wir der nicht erliegen.

Alexander Foitzik: Und welche Konsequenzen hat das für die Verkündigung der Kirche, für die Kirche selbst, dafür, wie sie sich selbst, wie sie ihren Auftrag versteht?

Jochen Sautermeister:Ich glaube, zum einen bedeutet das ganz konkret, dass Kirche selber auch sich fragen muss, dass wir unsere Kirche fragen müssen: Wo haben wir Idealisierungen? Wo haben wir Abspaltungen? Wo blenden wir das aus, was uns in unserem Bild als Kirche durchkreuzt und im Wege steht? Uns unsere Ideale beschädigt und unseren realistischen Blick von uns auf Kirchen. Und das zweite ist - neben dieser Kritik an Abspaltung in Kirche - dass andere weniger moralisieren, mehr wahrnehmen was ist. Mehr wahrnehmen, wie das Leben in seiner Vielfalt ist. In seinen Gründen und in seinen Abgründen. Ich glaube das ist ein zweiter wichtiger Punkt. Und ich würde formulieren, ein dritter Punkt ist: Karfreitag lehrt eigentlich auch Demut. Was heißt, sich mit dem auseinandersetzen, was ist, was da ist, auch was schwer ist, was dunkel ist, wo man schuldig geworden ist. Auch das ist mit Blick auf Kirche in heutiger Zeit wichtig. Und das Thema Machtmissbrauch, diese Übergriffigkeit, auch das bedeutet heute Karfreitag, wirklich den Blick darauf zu lenken. Und ein letztes lässt mich immer wieder nachdenken: Gott lässt sich am Karfreitag nicht verwalten. Und dass wir uns auch kritisch fragen als Kirche: Wo verwalten wir mehr Gott statt Gott seinen Raum zu geben?

Alexander Foitzik: Herr Sautermeister, ich danke Ihnen sehr für Ihre offenen und menschenfreundlichen Aussagen zum heutigen Karfreitag.

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