Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Notkirchen“ nennt man die Kirchen, die der Architekt Otto Bartning gebaut hat. Heute vor 60 Jahren ist er gestorben. Otto Bartning hat seine Notkirchen gebaut, weil es nach dem Zweiten Weltkrieg zu wenige Kirchen gab. Viele waren im Krieg zerstört worden. Und Kirchen waren auch deshalb nötig, weil in den Nachkriegsjahren viele Menschen in den Gottesdienst gegangen sind. Sie haben dort Trost in ihrer Not gesucht. Also mussten schnell neue Kirchen her.

Deshalb hat Otto Bartning die Notkirchen erfunden. Ihr Grundgerüst war eine einfache Holzkonstruktion. Eine Art Fachwerk. Das konnte man dann mit Trümmersteinen und Trümmerziegeln auffüllen. Die hat es in den zerbombten Städten massenweise gegeben. Dann noch ein Dach, und fertig war ein Kirchenraum für bis zu 500 Menschen. Seine erste Notkirche hat Otto Bartning in Pforzheim gebaut. Und danach noch 47 weitere, auch in Stuttgart, Heilbronn, Karlsruhe und Mannheim.

Mich erinnern Otto Bartnings Notkirchen daran, wofür eine Kirche eigentlich da ist. Eine Kirche muss kein prächtiges Gebäude sein wie die mittelalterlichen Kathedralen, an denen manchmal Jahrhunderte lang gebaut wurde. Man braucht nur einen Ort, an dem Menschen zusammenkommen können, um miteinander Gottesdienst zu feiern. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“, hat Jesus einmal gesagt.

Und die Notkirchen erinnern mich daran: Kirchen sind Orte, zu denen Menschen mit ihren Nöten kommen können. An den Trümmerwänden von Otto Bartnings Kirchen waren oft noch die Brandspuren des Krieges zu sehen. Kirchen sind Orte für Menschen, an denen das Leben seine Spuren hinterlassen hat. Und wer trägt nicht solche Lebensspuren mit sich herum. Ich kann auch fröhlich und dankbar in den Gottesdienst gehen. Aber wenn es mir schlecht geht, dann brauche ich so einen Ort besonders, wo ich hinkann mit meiner Not. „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen“, verspricht Gott (Psalm 50,15).

Es gibt heute auch noch eine andere Art von Notkirchen: nämlich die Vesperkirchen. In vielen Städten stehen sie im Januar und Februar offen für Menschen in Not. Für Menschen, die einen warmen Ort und eine warme Mahlzeit brauchen. Aber auch für Menschen, die alles haben, aber einsam geworden sind. Und die Vesperkirchen stehen auch offen für Menschen, die unter ihresgleichen bleiben wollen, die Angst haben vor dem Anderen und Fremden und die vergessen haben, dass wir alle zusammengehören. Auch das ist eine Not. Gut, dass es Notkirchen gibt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28138
weiterlesen...