Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Männer beten laut Statistik weniger als Frauen. Dabei ist mir neulich aufgefallen, dass das allerbekannteste Gebet, sich ausgesprochen gut für Männer eignet: Das Vaterunser.

Besonders wenn wir Männer zwischen 40 und 50 Jahren alt sind. Denn in diesem Alter kommen viele Männer in eine Krise: die sogenannte Midlife-Crisis. Viele Filme handeln davon: Die Betroffenen kaufen sich dann eine Harley Davidson. Oder sie ziehen als Cowboys in den Wilden Westen. Meistens sind diese Filme Komödien. Für den, der drin steckt, ist die Midlife-Crisis aber gar nicht so lustig: Man fühlt sich schlecht und wird immer unzufriedener mit sich und seinem Leben.

Psychologen sagen: Das liegt daran, dass man die Lebensmitte überschritten hat. Man merkt, dass die meiste Lebenszeit schon hinter einem liegt. Bisher dachte man: Ich habe unendlich viele Möglichkeiten. Jetzt merkt man, dass man die nicht mehr hat. Gleichzeitig zieht man Bilanz: Man stellt fest, dass man seine Lebensziele nur zum Teil erreicht hat. Man hadert mit den Entscheidungen, die man gefällt hat und trauert Möglichkeiten nach, die man nicht ergriffen hat. Deshalb will man etwas – ja möglichst alles – ändern. Und gleichzeitig ahnt man: Das hilft auch nichts.

Genau in dieser Situation finde ich das Vaterunser hilfreich. Und zwar einen ganz bestimmter Satz aus dem Vaterunser, nämlich die Bitte an Gott: „Vergib uns unsere Schuld“. Das hört sich vielleicht sehr moralisch an. Aber es geht dabei gar nicht nur um die Sachen, die mir gerade auf dem Gewissen liegen. Ganz wörtlich aus dem ursprünglich griechischen Text übersetzt lautet die Bitte nämlich: „Lass weg, was wir schuldig geblieben sind“. Ich glaube, das ist genau das, was uns Männern zu schaffen macht: Wir stellen in der Mitte unseres Lebens fest, dass wir viel schuldig geblieben sind von dem was wir aus unserem Leben machen wollten und sollten. Wir sind es uns selbst schuldig geblieben, anderen Menschen und auch Gott, der uns unser Leben anvertraut hat. Deshalb: „Lass weg, was wir schuldig geblieben sind“.

Und wie reagiert Gott auf diese Bitte? Ich glaube er nimmt das, was wir schuldig geblieben sind, legt es zur Seite und sagt: „Ok, das alles hätte vielleicht sein können, das wäre vielleicht drin gewesen in Deinem Leben. Aber es ist anders gekommen, und es muss jetzt auch nicht mehr sein. Ich kann Dein Leben so annehmen, wie es ist. Und ich will Dir helfen, dass Du das auch kannst. Dann kannst Du die zweite Hälfte gelassener leben. – Und eine Harley kannst Du Dir ja trotzdem kaufen“.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28137
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