Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Sündige tapfer!“ diese Aufforderung stammt vom Reformator Martin Luther. Heute ist sein 473. Todestag. Ich habe mir vorgenommen, Luthers Ratschlag zu befolgen und heute tapfer zu sündigen.

Das heißt allerdings nicht, dass ich es so richtig krachen lasse. Ich werde keine drei Stück Sahnetorte essen, keine zwei Flaschen Wein trinken und auch nicht mit 100 Sachen über eine rote Ampel fahren. So ist Luthers Aufforderung „Sündige tapfer!“ auch nicht gemeint. Aber wie dann?

Der Ratschlag „Sündige tapfer!“ stammt aus einem Brief, den Luther an seinen Freund Philipp Melanchthon geschrieben hat. Melanchthon war wie Luther Professor an der Universität in Wittenberg. Als Luther längere Zeit nicht in der Stadt sein konnte, musste Melanchthon ihn vertreten. Luthers neue Ideen sorgten für große Aufregung und Streit. In diesem Durcheinander sollte Melanchthon für Ruhe sorgen – und war total überfordert. Melanchthon war kein Anführer-Typ. Er hatte große Angst, Fehler zu machen. In Briefen hat er Luther um Rat gefragt. Und das war dann der Ratschlag, den er bekommen hat: „Sündige tapfer!“

Ich glaube damit wollte Luther dem Melanchthon sagen, der gern fehlerlos bleiben wollte: „Steh dazu, dass Du Fehler machst. Steh dazu, dass Du ein unvollkommener, eben ein sündiger Mensch bist. Tu, was Du zu tun hast, aber verabschiede Dich von dem Anspruch, perfekt zu sein. Mach tapfer und fröhlich Deine Fehler, es geht ja nicht anders“.

Und Luther hat dem Melanchthon noch zwei weitere Ratschläge dazugegeben: „Sündige tapfer, aber glaube noch tapferer“ und „bete tapfer!“. Melanchthon sollte sich also an Gott wenden, Gott sagen, wie es ihm geht und darauf vertrauen, dass Gott in schwierigen Situationen bei ihm ist und sie mit ihm durchsteht.

Ich kann den Philipp Melanchthon, der so gerne alles richtig machen wollte, gut verstehen. Ich leide zum Beispiel darunter, dass ich alles immer erst auf den letzten Drücker fertig mache – egal ob die Lohnsteuererklärung oder eine Predigt. Wie gerne würde ich die Steuererklärung mal im Februar abgeben und eine Predigt mal drei Tage vorher fertig schreiben. Es geht einfach nicht.

Aber heute werde ich mal tapfer sündigen und fröhlich dazu stehen. Ich werde zu Gott sagen: „So ist das eben mit mir. Ich weiß: Diese Eigenart bedeutet für mich und für anderer viel Stress. Danke, dass Du trotzdem zu mir stehst und mir sogar hilfst, doch immer rechtzeitig fertig zu werden. Und ich vertraue darauf, dass ich sündiger, unvollkommener Mensch bei Dir vollkommen gut aufgehoben bin.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28136
weiterlesen...