Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Wer viel weiß, ist noch längst nicht weise. Aber wie wird man weise? Also so lebenserfahren, dass man Dinge einordnen – und vielleicht sogar anderen weiterhelfen kann?

In der Bibel gibt es ein Lied von der Weisheit im Buch Hiob im Alten Testament. Da wird zunächst ausführlich geschildert, wie weit die Menschen beim Bergbau ins Innere der Erde vordringen: „[B]is ins Letzte erforscht man das Gestein, das im Dunkel tief verborgen liegt. […] [M]an […] gräbt die Berge von Grund aus um. Man bricht Stollen durch die Felsen, und alles, was kostbar ist, sieht das Auge.“ (Hiob 28,3b.9f.)

Das klingt ganz wie ein Lobgesang auf den technischen Fortschritt. So viel Können, so viel Wissen! Doch dann schlägt der Ton ganz plötzlich um in diesem alten Lied. Und es kommen nachdenkliche Fragen: „Wo will man aber die Weisheit finden? Und wo ist die Stätte der Einsicht? […] Sie ist verhüllt vor den Augen aller Lebendigen“. (Hiob 28,12.21a)

Das ist uralt – und zugleich topaktuell, finde ich. Wohin wir Menschen heute überall vordringen können! Was wir alles ergründen! Mir kommt zum Beispiel die Geburtsmedizin in den Sinn. Schon lange vor der Geburt kann das Innere der Gebärmutter genau erforscht werden. Die Prognosen werden immer genauer. Neuerdings bringen diese Untersuchungen auch keine großen medizinischen Risiken mehr mit sich. Wir wissen so viel. Nur – was wird dann mit all diesem neu gewonnenen Wissen?

Für diese heiklen Fragen reicht reines Wissen nicht aus. Da braucht es die Fähigkeit, verschiedene Perspektiven zusammen zu bedenken, Spannungen nicht vorschnell aufzulösen. Da braucht es Weisheit. Aber die lässt sich im Labor eben nicht aufspüren, so tief man da auch gräbt.

Viel Wissen, aber wenig Weisheit – das kann schwere Folgen haben. Da gibt es schlaflose Nächte, und es geht bis an die Grenzen der Existenz. Das Lied von der Weisheit in der Bibel wird nicht ohne Grund Hiob in den Mund gelegt. Der musste mit persönlichen Hiobsbotschaften leben und ist daran verzweifelt.

Wo ist die Weisheit zu finden? Nur bei Gott, sagt Hiob schließlich. „Gott weiß den Weg zu ihr, er allein kennt ihre Stätte.“ (Hiob 28,23)

Christen sagen deshalb: Es braucht noch mehr als Können und Vernunft. Auch in Fragen der Geburtsmedizin. Man kann sich mit anderen Christen beraten und fragen: Was glaubst denn du? Was können wir tun? Vielleicht weist manchmal auch ein Gebet den richtigen Weg. Zum Beispiel dieses hier: „Gott, wenn du den Weg zur Weisheit kennst, dann zeig’ ihn mir und uns. Wir brauchen dich jetzt.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27971
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