SWR1 Begegnungen

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Karen HinrichsWolf-Dieter Steinmann trifft Karen Hinrichs, OKRin der Bad Landeskirche, Karlsruhe

Neu friedensfähig werden
Wie wird das Jahr? Ich glaube, das hängt auch davon ab, wie man es angeht. Da gibt es ja verschiedene Haltungen: Gebückt vor Sorgen. Neugierig. Man kann ein Jahr vorsichtig auf sich zukommen lassen. Oder aktiv drauf losgehen. Karen Hinrichs Haltung klingt aufrecht.

Ich geh zuversichtlich und fröhlich ins neue Jahr trotz aller Probleme, die es so auf der Welt gibt.

Sie ist Oberkirchenrätin in Karlsruhe. Bestimmt verantwortlich mit in der evangelischen Kirche in Baden. Wie die sich aufstellt in den großen Herausforderungen. Karen Hinrichs glaubt, dass es Aufbrüche braucht und dass es sie geben kann.

Gerechtigkeit, Frieden, sozialer Frieden, aber auch international ist die Lage ja angespannt. Die Frage: Wie kriegen wir eine resiliente Demokratie. Wie stärken wir das Wir-Gefühl im Land? Wie können wir etwas tun gegen Vereinzelung?

Sie möchte, dass Christen und Kirchen Aufbrüche mitgestalten. Haltung zeigen. Und sich auch verändern. Evangelische Kirche ist da, um vom Glauben zu reden. Aber sie sollte ihn auch mehr leben.

Zu einem Art Weiterführen von Reformation. Dass wir uns klar machen, in was für einer Welt wir heute leben. Die Botschaft weiter sagen von Gottes Liebe. Das muss aber auch irgendwie sichtbar werden. Es muss einen Unterschied machen, ob es Kirche gibt oder nicht gibt.

Ein Thema steht für Karen Hinrichs ganz oben: „Frieden.“ Vielleicht sogar ein Lebensthema. Es prägt sie als Christin. Und wurzelt in ihrer Familie. Sich gegen Gewalt und Krieg zu engagieren ist Teil ihrer Identität.

Ich bin die erste Theologin in der Familie und komm aus einem ganz naturwissenschaftlich geprägten Elternhaus. Mein Urgroßvater wurde von den Nazis umgebracht als Gewerkschafter. Da war auch schon ganz stark eine antimilitaristische Haltung.

Ich vermute, in Deutschland haben alle eine Friedens- oder Kriegsvergangenheit. Meine Vorfahren waren Soldaten. Und irgendwann fragt man sich dann: Passt das zum christlichen Glauben? Wo Jesus doch Friedensstifter lobt.

Die Bergpredigt ist ganz entscheidend. ’Salz der Erde und Licht der Welt sein’ das beschreibt für mich den Auftrag, den wir als Kirchen haben. Nie zuvor hatten wir so viel Verantwortung für das Ganze, für den ganzen Erdball.

Auf unserer kleinen Erde sollen wir lernen, auch die Sicherheit und die Lebensinteressen der anderen mit zu denken. Aber ist das nicht zu „positiv“ von uns Menschen gedacht? Was lässt sie hoffen, dass wir Menschen so friedensfähig werden?

Begegnungen und Geschichten. Dazu gehören sowohl die Geschichten in der Bibel. Da gibt es ganz viele Umkehr- und Versöhnungsgeschichten. Wenn Jesus uns auffordert, unser Leben zu ändern und umzukehren, dann weiß er sehr wohl wie schwierig das ist.

Frieden stiften ist möglich. Sogar wenn Menschen Furchtbares erlebt haben. In Afrika hat sie das gesehen. Davon erzähle ich nach dem nächsten Titel.

Frieden stiften in Nigeria

Frieden ist Lebensthema für Karen Hinrichs. Persönlich und als Oberkirchenrätin in der evangelischen Kirche in Baden. Im letzten Jahr hat sie dafür noch mal einen „Schub“ bekommen. Im Norden von Nigeria. Ausgerechnet dort wo die islamistische Terrorgruppe Boko Haram die Menschen lange Zeit drangsaliert hatte. Christen und Muslime vertrieben. Karen Hinrichs hat Friedensarbeit erlebt, der EYN: „der Kirche der Geschwister in Nigeria“.

Da haben wir verschiedene Gemeinden besucht, die ihre Kirchen wieder aufbauen. Wo die Vertriebenen wieder zurückgekehrt sind aus den großen Binnenflüchtlingslagern. Haben viele Gottesdienste mitgefeiert und sind überall auf Menschen gestoßen, die sich gefreut haben, dass wir sie nicht vergessen.

Frieden und Versöhnung steht im Zentrum der Arbeit in der EYN. Jetzt wo Vertriebene zurückkehren. Darum hat die Kirche Menschen ausgebildet, die sich um die Traumatisierten kümmern. Die Kirche arbeitet immer interreligiös. In den Lagern und den Dörfern.

Es gibt immer eine Moschee. Dann wird ganz stark gesetzt auf Versöhnung zwischen den ehemaligen Nachbarn. Und es gibt so genannte Peaceclubs. Dort wird versucht, die Verteilung von Wasser oder von Zugängen zu den besonders begehrten Ackerflächen: Wie können wir das selber lösen?

Frauen werden als Näherinnen ausgebildet. Eine Mikrofinanzbank gibt Kredite, damit die Menschen wieder ihr Land bewirtschaften können. Mit dem Bankleiter hat Karen Hinrichs was Besonderes erlebt.

Als erstes wurde ich aufgefordert: ’Ach bitte beten Sie mit uns.’ Das sollte uns mal hier passieren in einer Bank hier in Deutschland.

Beten schafft Verbindung über Kontinente. Die braucht es. Unsere Welt ist so zusammengerückt. Mein Lebensstil produziert Konflikte für die Menschen dort: Sodass Bauern und Hirten ums knappe Land kämpfen.

Das ist wiederum eine Folge des Klimawandels. Der Tschadsee im Norden ist immer mehr ausgetrocknet. Das Weideland ist eben weniger geworden. Die Fischer haben ihre Einkommen verloren und die Farmer eben auch. Da ist im Moment die viel größere Gefahr als bei den Boko Haram.

Karen Hinrichs erzählt von Kaduna, einer Millionenstadt. Mitten drin das interreligiöse Friedenszentrum: Musliminnen und Christen, Männer und Frauen senden zB. von dort aus an gegen hatespeech zwischen den Religionen.

Warum man nicht so einfach sagen kann: ‘Die einen sind die Bösen, die einen sind die Guten.’ Warum es so wichtig ist, in den Schulen sich zu verständigen. Sie haben jetzt ein Frühwarnsystem entwickelt, so genannte Peaceobserver. Die beobachten, ob Konflikte so heiß werden, dass da Unterstützung gebraucht wird.

Es steckt an, wie Karen Hinrichs von Nigeria erzählt. Und ich verstehe: Frieden dort hat auch damit zu tun, wie ich hier Frieden lebe. Wie Kirchen Frieden und Versöhnung leben: Politisch, in Medien, in Schulen, im Alltag. Das wäre eine Haltung fürs neue Jahr.

Ganz viele Menschen haben so nen Button: ‘Do something for Peace.“ Jeder kann etwas für den Frieden tun. Das hat mich wirklich sehr inspiriert.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27967
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