SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Beim Einkaufen in einem kleinen Familiengeschäft hat eine junge Frau die Kasse gemacht. Ich hab mir gedacht: „Das muss die Tochter sein“, weil sonst immer eine Frau dort steht, die ihre Mutter sein könnte. Als ich dran bin, spricht mich die junge Frau mit Namen an. Und ich bin erst mal verdattert, weil ich meine, sie gar nicht zu kennen. Zumindest bewusst sind wir uns noch nicht begegnet. Denke ich. Auf meine Nachfrage, woher sie meinen Namen wisse, sagt sie: „Herr Steiger, Sie haben mich doch vor meiner Erstkommunion getauft!“ Ich muss schmunzeln. Und sie auch.

Ja, das war ein schönes Erlebnis. Es ist überhaupt eine schöne Erfahrung, die mir immer wieder passiert. Seit ich nun auch schon etwas älter bin. Inzwischen habe ich bald dreißig Berufsjahre auf dem Buckel. In dieser Zeit bin ich nicht nur älter geworden, sondern es haben eben ungemein viele Begegnungen statt gefunden. Ich habe Menschen an wichtigen Stellen ihres Lebens begleitet. Ich habe Paare getraut und Partner gesegnet. Ich habe Kinder getauft und manche von ihnen in der Schule unterrichtet, manche bis zum Abitur. Ich habe Kranke besucht, Sterbende begleitet und viele Menschen beerdigt. Da ist es ganz normal, dass Angehörige mich wiedererkennen und mir zum Teil noch lange dankbar sind, wenn ich meine Sache gut gemacht habe. Und immer wieder kommt es eben inzwischen auch vor, dass ich Kindern, die ich getauft habe, als Erwachsenen wieder begegne. Manchmal entsteht ein kleines Gespräch daraus. Und wenn es sich so freundlich, fast vertraut entwickelt, wie da beim Einkaufen unlängst, dann macht das mein Leben im wahrsten Sinne des Wortes reich. Weil ich dann verstehe, was manche Menschen meinen, wenn sie davon sprechen, dass das Alter auch seine guten Seite habe. Dass Altwerden zwar auch bedeutet, vergesslicher zu werden, nicht mehr so schnell reagieren zu können, dass Kraft und Gesundheit nachlassen. Dass das aber nicht alles ist. Beileibe nicht. Sondern dass sich im Laufe der Jahre ein Schatz ansammelt: was ich erlebt habe, was mir gelungen ist, wem ich begegnet bin.  

Ich sehe das bei mir selbst. Und es tut mir gut. Es macht mich zufrieden, sogar ein bisschen stolz. Es macht mich gelassener, wenn ich daran denke, was wohl noch so alles kommt in den nächsten Jahren. Wenn ich dann einem Menschen begegne, der noch älter ist als ich, und ich spüre, dass er mit seinem Alter hadert, dann versuche ich das Gespräch darauf zu lenken. Ich erzähle von meinem noch kleinen Reichtum des Alters und frage, was es da so bei ihm gibt. Meistens gibt das unserem Gespräch eine gute Wendung. Weil es immer gut tut, auf das zu schauen, was im Leben gelungen ist und schön war.

 

 

 

Thomas Steiger aus Tübingen von der Katholischen Kirche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27946
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