SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Weniger Eingriff in die Natur ist manchmal mehr hilfreich – nicht nur im Apfelanbau.

Kaum etwas läge dem Obst-Bauern meines Vertrauens ferner, als ein Loblied zu singen auf Faulheit und Untätigkeit. So war ich ziemlich verdutzt, als er mir von seinen Erfahrungen mit dem heißen Jahr 2018 erzählte. Eigentlich hatte ich nur gefragt, wie denn die Apfelernte gewesen ist – und vor allem: wie lange ich denn bei ihm Äpfel kaufen kann bis ins neue Jahr hinein. Die Erklärung war erst mal schwierig zu verstehen: Alles bisschen durchwachsen, sagt er; nur wo wir geschlampt haben, da wird’s gut. Wie bitte?

Bei Obstbäumen kann der Bauer die Natur ein wenig regulieren, erklärt er mir. Wenn er eine große Ernte will, beschneidet er seine Bäume nur wenig, lässt also viele Äste dran und Blüten und Frucht-Ansätze. Nachteil: die einzelnen Äpfel oder Birnen werden ein bisschen kleiner bleiben und weniger Zucker haben – der Baum verteilt seine Kräfte ja. Also: die Bäume stärker beschneiden, weniger Früchte kriegen – aber alle größer und mit mehr Geschmack. Letztes Jahr hat Bauer Hans eher großzügig beschnitten – ausgeizen nennt er das. Und weil die Sonne so doll geschienen hat und die Hitze heftig war, hat er schöne große und süße Früchte bekommen. Kleiner Nachteil: Die lassen sich viel schlechter lagern, weil sie zu groß süß und weich sind… Bauer Hans lässt dann eben viel Saft machen.

Und wir haben das Glück, dass er es gerade bei unseren Lieblings-Sorten nicht mehr geschafft hat mit dem Ausgeizen. Ergebnis: Viel mehr Äpfel sind gewachsen  aber schön knackig und vermutlich so lange haltbar, dass wir fast bis in den nächsten Sommer kommen werden.

Schon klar: Das war mehr Zufall als gewollt; aber sicher keine Faulheit. Und nebenbei wieder mal ein Beweis dafür, dass weniger oft mehr ist. Im Apfel-Fall bei Bauer Hans: Weniger Handarbeit am Baum macht mehr leckere und haltbare Früchte. Weniger Eingriff in die natürlichen Abläufe – das würden sich viele ja sowieso wünschen, an vielen Stellen in allen Bereichen. Weil Gottes Schöpfung schon ziemlich in Ordnung ist und zu wissen scheint, was sie tut. Und weil menschliche Eingriffe oft fatale Folgen haben.

Fragen von dieser Art werden sich immer wieder stellen: Mehr ausgeizen oder weniger; Flüsse eindämmen und kanalisieren – oder ihnen freien Lauf lassen; natürlich gewachsenes Gemüse kaufen oder nur das hübsch normgerechte; mit dem Rad zur Arbeit, zu Fuß zur – Schule oder mit dem prächtigen Auto... Gottes gute Schöpfung als Geschenk annehmen und pflegen und genießen: fände ich jedenfalls richtiger als sie zu beherrschen versuchen. Auf’s Ganze gesehen kommen alle damit besser zurecht: Mutter Erde und ihre Menschenkinder…

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27902
weiterlesen...