SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Im Herbst war ich in Rom und habe den Petersdom besucht. Dabei habe ich eine kurze Begegnung gehabt, an die ich mich zur Zeit oft erinnere. In einer Seitenkapelle hat da nämlich ein Geistlicher gesessen. Weißer Vollbart, schwarzes Gewand, mit einem Brustkreuz und einer roten Kappe aus Samt auf dem Kopf. Wie ein Bischof der orthodoxen Kirche. Er sitzt da – stumm, man sieht kaum, dass er atmet. Ich vermute, dass er gebetet oder meditiert hat. Als ich gerade weitergehen will, kommt eine Frau auf mich zu. Ihrem Gewand nach ist sie aus Indien. Sie hat auch einen gemalten Punkt auf der Stirn, wie es im Hinduismus üblich ist. Bei ihr ist ein kleiner Junge, vielleicht ihr Sohn, mit dem sie den Petersdom anschauen will. Als sie auf mich zukommt, zeigt sie auf den betenden Geistlichen und flüstert: Is that the pope? – Ist das der Papst?

Im ersten Moment muss ich schmunzeln. Ich habe die Frage verneint. Aber irgendetwas daran hat mich auch berührt. Da kommt also eine Frau aus einer ganz anderen Kultur mit einer anderen Religion in den Petersdom und hat die Vorstellung, dass sie da einfach so den Papst bei den betenden Menschen sehen kann. Auf den zweiten Blick gar nicht so unverständlich. Der Papst muss ja irgendwo im Vatikan sein.

Was mich aber daran berührt hat, ist, dass sie den Papst nicht wie eine Touristenattraktion sehen und ein Selfie machen will, sondern dass sie voller Ehrfurcht nach ihm fragt. Ich habe den Eindruck, dass sie erwartet hat, dass sie im Petersdom einem heiligen Mann begegnen kann. Obwohl sie keine Christin ist, hat es ihr offensichtlich viel bedeutet.

Inzwischen finde ich es fast schon schade, dass sie den Papst nicht einfach so im Petersdom antreffen konnte.

Ich habe großen Respekt für die Offenheit, die diese Frau gezeigt hat: Sie ist nämlich bereit, das Heilige nicht nur in der eigenen Religion zu finden, sondern auch in anderen Religionen. Ich stelle mir vor, was es zum Guten verändern kann, wenn ich mit derselben Hochachtung für das Heilige auch den Geistlichen anderer Religionen begegne, dem Rabbi in der Synagoge, dem Imam in der Moschee. Und dass ich bei ihnen nicht zuerst auf das achte, was anders ist als in meiner Religion. Sondern dass ich sie sehe als Menschen, die die Nähe zum dem suchen, was gut ist und allen Menschen Heil bringt.

Ich bin und bleibe Christ. Aber ich sehe auch Gutes und Heiliges bei Menschen, die eine andere Religion oder gar keine Religion haben. Muslime haben eine große Ehrfurcht vor Gott, Juden betonen Gottes Treue. Wichtig ist mir aber, dass wir alle gemeinsam das Gute und Heilige suchen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27723
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