Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Du sollst Vater und Mutter ehren!“ So heißt es in den 10 Geboten der Bibel. Ich kenne Menschen, die das als Kind von ihren Eltern zu hören bekommen haben, mit erhobenem Zeigefinder. „Tu gefälligst, was ich dir sage.“ Die Rollenverteilung ist dabei klar: die Kinder sind die Schwächeren und sollen sich entsprechend unterordnen.

Aber eigentlich geht dieses Gebot gar nicht an die Adresse von pubertierenden Jugendlichen oder aufmüpfigen Kindern. Meine Konfirmandinnen und Konfirmanden sind immer ganz glücklich, wenn sie das herausfinden. Das Gebot, die Eltern zu ehren, ist zu Erwachsenen gesagt. Denen, die mitten im Leben stehen, wird ins Stammbuch geschrieben: „Ehre deine altgewordenen Eltern.“ Das klingt dann schon anders, finde ich. Denn in dem Fall sind ja meistens die Eltern in der schwächeren Position. Sie sind im Alter womöglich gesundheitlich beeinträchtigt und brauchen mehr Hilfe als früher. In biblischer Zeit gab es auch kein Sozialsystem. Deshalb wurde vorausgesetzt, dass die alten Eltern von den Kindern versorgt werden, sodass sie nicht Hunger leiden müssen.

„Ehren“, das bedeutet in der Sprache des Alten Testamentes auch „Gewicht geben“. Jemanden als einen wichtigen Menschen ansehen und entsprechend behandeln. Meine Eltern ehren, das heißt für mich dann zum Beispiel: ihnen zuhören. Wenn sie von früher erzählen oder davon, was sie heute beschäftigt. Aufmerksam dafür sein, wo sie Unterstützung brauchen, ohne ihnen ständig reinzureden.

Und: Freiraum geben – ja, ich denke, das gehört auch zum „Ehren“ dazu. Wechselseitig. Einige Kapitel vor diesem Gebot heißt es, dass junge Leute „Vater und Mutter verlassen“. Das ist dort nicht als Vorwurf gemeint. Es geht darum, dass junge Leute sich von daheim lösen müssen, um ihr eigenes Leben zu leben. Sich von den Eltern lösen und sie ehren: das passt zusammen.

Wenn Eltern alt werden, wird womöglich auch die Pflege ein Thema. Daheim, mit Unterstützung von Diensten, oder auch in einem Pflegeheim. 

Vater und Mutter ehren: Für mich ist das eine klare Ansage zum Thema Pflege. Ich denke, eine Gesellschaft sollte darauf achten, dass Menschen in der Pflege gut bezahlt werden und nicht chronisch überlastet sind. Und dass Menschen, die daheim Angehörige pflegen, gut entlastet werden, damit sie das überhaupt durchhalten können. Damit den erwachsenen Kindern Zeit und Kraft bleibt, die Eltern zu ehren.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27715
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