SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Er ist so gar nicht der liebe Jesus: Er sitzt auf einem Wolkenthron. Ohne Bart, ein junger blonder Apollo, kraftvoll. Mit seiner rechten Hand macht er eine abweisende Bewegung als ob er allen sagen wollte: Verschwindet mir aus den Augen.

So hat Michelangelo Jesus gemalt - in seinem Fresko des Jüngsten Gerichts in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan. Jesus wirkt so zornig, dass Maria, seine Mutter, sich neben ihm ängstlich in ihren Schleier verkriechen will. Das Bild wimmelt vor Personen, denen angesichts dieses Richters die Knie schlottern: Die einen betteln um Erbarmen, die anderen stürzen sich schon verzweifelt in den Abgrund.

Viele Kirchenvertreter haben jahrhundertelang den Menschen Angst mit solchen Bildern gemacht. Sie sollten Angst haben, dass sie in einer ewigen Hölle verbrennen, weil Jesus als Richter sie dazu verurteilt. Heute weiß man, dass Drohen und Angst keinem Menschen hilft, ein besserer Mensch zu werden. Ich glaube, dass diese Bilder auch noch einen anderen Sinn haben. Es geht nämlich um Gerechtigkeit. Die meisten, die zu kurz kommen, können gar nichts dafür. Sie werden ausgebeutet. Das fängt bei denen an, die jeden Tag hart arbeiten, aber einfach zu wenig verdienen, um gut für ihr Alter vorsorgen zu können. Und es reicht bis zu den Menschen, die Opfer geworden sind, weil sie in bestimmten Regionen die falsche Herkunft oder Hautfarbe haben.

Wenn ich an solche Ungerechtigkeiten denke, wünsche ich mir auch so einen zornigen Christus, der entschieden damit aufräumt und Gerechtigkeit schafft. Die Bibel kennt diese Vorstellung auch.

Aber die Bibel spricht auch davon, dass Gottes Gerechtigkeit barmherzig ist. Wie das gehen soll, lässt sie offen. Michelangelo deutet in seinem Bild aber an, dass es noch etwas gibt, was über dieser Gerechtigkeit steht. Über dem Kopfe Jesu schwebt eine Schar von Engeln, die das Kreuz, Hammer und Nägel und die Dornenkrone tragen. Als wollten sie Jesus daran erinnern, dass er doch dafür eingestanden ist, dass Gott barmherzig ist und verzeiht. Auch dann noch als ihn die ermordet haben, die das nicht hören wollten.

Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, wie das zusammengehen kann: Dass Gott gerecht ist und dabei auch barmherzig verzeiht. Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass die Barmherzigkeit über allem steht. Ich habe im Kleinen die Erfahrung ja schon gemacht: Wenn ich jemandem verzeihen kann, weil er seinen Fehler einsieht, muss ich oft nicht mehr auf einer gerechten Strafe beharren. Vielleicht ist da bei Gott doch einiges mehr möglich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27554
weiterlesen...