SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ich sitze mit Freunden auf der Terrasse eines Cafés. Da beginnen sich auf einmal in Sichtweite zwei Männer auf der Straße erst zu beschimpfen und dann zu prügeln. Einer hat mit dem Gürtel auf den anderen eingeschlagen, der andere hat kräftige Ohrfeigen verteilt. Die Polizei musste kommen und eingreifen.

Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass einer von den beiden Männern ein Geflüchteter ist, den man hier aufgenommen hat. Er war vermutlich angetrunken und kaum zu beruhigen. Und er hat perfekt das Klischee erfüllt, das ich von den Bildern der Kölner Silvesternacht kenne. Ein junger Mann, dunkelhaarig und aggressiv. Das war natürlich im Café Gesprächsthema hinterher. Viele haben gemeint, dass sie sich nicht mehr sicher in ihrer Stadt fühlen, und dass da einiges schief läuft im Moment. Das stimmt. Da läuft wirklich einiges schief. Und ich bin heute noch hin- und hergerissen, ob es nicht besser wäre, wenn so einer seinen Platz hier für einen anderen räumen müsste. Für einen, der es als echte Chance sieht und nutzt, wenn er hier in Deutschland aufgenommen wird und sein Leben wieder auf die Reihe bekommen kann.

Aber nicht nur, weil ich als Christ barmherzig sein soll, habe ich ein mulmiges Gefühl, wenn ich so denke. Ich weiß, dass ich diesen Leuten damit überhaupt nicht gerecht werde.

Aus der Traumapsychologie ist bekannt, dass Leute, die im Krieg extreme Gefahren erlebt haben, schwer belastet sind. Wer vielleicht Angehörige hat sterben sehen oder keinen Kontakt mehr zu ihnen hat und nicht weiß, wo sie sind oder auf der Flucht extreme Situationen erlebt hat, der kann sich nicht so schnell wieder auffangen, wenn er ein Bett, etwas zu essen und ein warmes Zimmer bekommt. Er ist noch lange schwer psychisch belastet. Traumatisierte haben Albträume, sie können sich schlecht konzentrieren und sie sind auch leichter reizbar und haben teilweise keine Kontrolle mehr über sich. Sie bräuchten vermutlich über längere Zeit einen Therapeuten, der ihnen hilft, damit umzugehen. Das gehört eben auch zu den Folgen eines Krieges, an dem wir Deutsche nicht ganz unbeteiligt sind. Ich brauche ja nur daran zu denken, wie viele Waffen wir exportieren.

Die Frage ist für mich als deutscher Bürger und als Christ aber die, wie wir unserer Verantwortung gerecht werden und nicht die auch noch doppelt bestrafen, die an den Folgen knabbern. Ich sehe auch keine einfache Lösung. Aber das ist ja vielleicht eher ein Grund mehr, es anzupacken. Mindestens aber, dass ich versuche, nicht mehr in Klischees zu denken, wenn ich merke, dass ich auf solche einfachen Bilder im Kopf anspringe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27553
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