Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Auf seinem Grabstein steht: „Auf Wiedersehen“. Jedes Mal, wenn ich daran vorbei gehe, gibt es einen kurzen Stich im Herzen, aber auch ein Schmunzeln auf meinen Lippen. Eines Tages spreche ich unsere alte Nachbarin auf das Grab an. Und sie lacht. Sie hat den Menschen gekannt, dessen Grabsteininschrift mich so oft schon berührt hat. Und sie erzählt mir sein Leben:

Egon, so war sein Name. Er hat auch hier im Ort gelebt. Immer hatte er einen Spaß auf den Lippen und er ist tiefgläubig gewesen. Schwere Zeiten hat er durchgemacht. Egon hat gegen die Nazis gekämpft und sich für Gerechtigkeit eingesetzt.

Als die jüdischen Geschäfte und Synagogen angezündet wurden, hat er auf der Straße gestanden und die Zündler angeschrien: „Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit! Wehe euch Gott!“ Dann ist er verhaftet worden und in den alten Franzosen-Kerker gesperrt worden. Da hatte Egon nichts mehr zu lachen.

Nach dem Krieg hat er sich als Textilverkäufer durchgeschlagen – mehr schlecht als recht. Aber auch da hatte er immer einen Spaß auf den Lippen. Nur wenn er Ungerechtigkeit erlebt hat, hat der Spaß für ihn aufgehört.

Nun ist Egon schon eine ganze Weile tot. Aber wir sehen uns wieder, denke ich und lese seinen Grabstein seitdem ganz anders. Sein Leben war geprägt von der Zuversicht, dass es ein Leben nach dem Tod gibt – eine Auferstehung. Dass es mal besser und gerechter wird. Das hat ihm das Rückgrat gegeben, für Gerechtigkeit einzutreten. Zuversichtlich sein und daran glauben, dass es besser werden kann. Für Egon war das die Triebkraft, sich für Gerechtigkeit einzusetzen. Gegen alle Widerstände. Und ich glaube daran. „Auf Wiedersehen!“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27550
weiterlesen...