Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Ich habe manchmal solche Phasen. Da falle ich irgendwie in ein Loch. Dann kann es passieren, dass ich stumm auf meinem Stuhl sitze und ins Leere starre. Wie lange muss ich noch jeden Morgen zur Arbeit fahren? Hat das Leben überhaupt noch einen Sinn? Ich muss dann zwei Etagen tiefer mit lieben Kollegen einen Kaffee trinken. Oder eine Runde spazieren gehen. Das hilft durchaus. Und wenn es keinen Kaffee gibt und es draußen Bindfäden regnet, dann hilft auch schon mal ein Blick ins Bücherregal. Kürzlich hab ich dabei einen Glücksgriff getan und Hilfe beim Dichter Joachim Ringelnatz gefunden. Und zwar bei einem seiner Turngedichte, dem Klimmzug:

 

Das ist ein Symbol für das Leben.
Immer aufwärts, himmelan streben!
Feste zieh! Nicht nachgeben!
….
Du musst in Gedanken wähnen:
Du hörtest unter dir einen Schlund gähnen.
In dem Schlund sind Igel und Wölfe versammelt.
Die freuen sich auf den Menschen, der oben bammelt….

Ja, so ist es. Zumindest gefühlt. Unten gähnt der Abgrund des Lebens und oben bammele ich. Joachim Ringelnatz, der 1934 gestorben ist, lebte eigentlich immer am existentiellen Abgrund. Der führte ein in meinen Augen völlig chaotisches Leben. Und gleichzeitig schrieb dieser Mann Gedichte, die so voller Wortwitz, voller Ideen, voll spöttischer Liebenswürdigkeit für dieses Leben sind, dass ich nur staunen kann. Was ich daraus lerne: eine gute Portion Humor ist äußerst hilfreich, um die Klippen und Abgründe des Lebens überwinden oder aushalten zu können. Joachim Ringelnatz muss eine gehörige Portion von diesem Humor gehabt haben. Und deshalb hat er für uns, die wir wacker weiter am Klimmzug des Lebens ackern, noch einen Tipp:

Klimme wacker,
Alter Knacker! Klimme, klimb
Zum Olymp!
Höher hinauf!
Glückauf!
Kragen total durchweicht.
Äh – äh – äh – endlich erreicht.
Das Unbeschreibliche zieht uns hinan,
Der ewig weibliche Turnvater Jahn.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27544
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