SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Ein Bekannter sagt mir: „Ich fühle mich verarscht!“ So drastisch drückt er sich aus, als er mir die folgende Geschichte erzählt:

Ein Mann lebt seit achtunddreißig Jahren von der „Stütze“, also von der Arbeitslosenunterstützung. Heute Hartz-IV. Was er zum Überleben braucht hat er: ein Dach über dem Kopf, etwas Taschengeld. Davon kann er sich nichts leisten, aber er kann davon leben. Der Mann heißt Arno Dübel. Er ist deutschlandweit bekannt. So etwas wie das Vorzeigemodell der Arbeitsverweigerer. Und Dübel lässt sich gern vorzeigen. Er gibt Interviews, tritt in Talkshows auf. Er hat sogar ein Lied geschrieben, mit dem er in die Charts gekommen ist. Titel: „Ich bin doch lieb“. Dübel kokettiert mit seiner Methode, wie er die Behörden ausgetrickst hat. Manchmal kommt es mir so vor, als ob er damit prahlt. „Schaut her! So macht man das.“ Er kann sich nicht vorstellen, nochmals  arbeiten zu gehen, schon lange nicht mehr. Auf die Frage, ob er sich dabei nicht wie ein Schmarotzer vorkommt, weil er auf Kosten der Allgemeinheit lebt, zeigt er sich irritiert. Das sei doch sein gutes Recht. So sei eben die Gesetzeslage.

Meinen Bekannten, der mir diese Story erzählt, ärgert das ungemein. Er muss seit über dreißig Jahren bei einer Spedition schuften, damit er und seine Familie über die Runden kommen. Im Schichtdienst. Wenn er Frühschicht hat, muss er um 5:00 Uhr anfangen, der Spätdienst geht bis 2:00 Uhr nachts. Und dieser Dübel liegt auf der faulen Haut. Was für eine Ungerechtigkeit! Mein Bekannter will nicht mit Dübel tauschen. Er könnte nicht so sein wie er. Und trotzdem wurmt es ihn, dass so eine Einstellung bei uns durchgeht, dass es möglich ist, dass einer auf seine Kosten lebt. Ich verstehe das sehr gut. Ich finde das auch ungerecht. Aber es regt mich nicht auf. Ich kann sogar ein bisschen über Arno Dübel lachen. Ich denke mir: Unsere Gesellschaft ist so stark, dass sie es aushält, wenn manche sie ausnützen. Es imponiert mir, dass wir in der Lage sind, Schwächere mitzutragen. Und dass da auch ein paar Faulenzer dabei sind, macht mir nichts aus. Wo Gutes getan wird, wird man auch manchmal übers Ohr gehauen.

Gleichzeitig verstehe ich, dass es meinen Bekannten ärgert. Ich konnte ihm nur den einen Rat geben: „Bleib bei Dir. Vergleiche Dich nicht. Lass dir vom schlechten Beispiel nicht deine Stimmung verderben. Stärke deine Gewissheit, dass du es richtig machst. Sei ein bisschen stolz, dass du so viel leistest, dass es für einen anderen mitreicht.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27538
weiterlesen...