SWR1 Begegnungen

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Karin BeckerAnnette Bassler trifft Karin Becker, Pfarrerin und Schäferin in Rheinhessen

Von wegen „dummes Schaf“!

Sie ist Gemeindepfarrerin in Rheinhessen und ihren Schäfchen eine gute Hirtin. Also nicht nur den Schäfchen mit zwei Beinen, auch denen mit 4 Beinen. Seit vielen Jahren ist sie Hirtin. Und hat von ihren Schafen viel gelernt. Für ihren Beruf, für ihren Glauben und fürs Leben. Dabei hatte sie früher mit Schafen nichts im Sinn.

Es war ein Notruf, ein Notruf von einem Schafhalter, der einen Herzinfarkt hatte … sodass dieser Schafhalter überhaupt nicht wusste, wo mit den Tieren hin sollte, ob ich mitmachen würde, 8 Schafe zu übernehmen.

Anfangs wollte sie dem Schafhalter nur aushelfen. Hat die Tiere durchnummeriert. Aber dann hat sie entdeckt: Schafe sind ja Persönlichkeiten!

Nicht umsonst spielen die Schafe in der Kunst und überall eine so große Rolle, sie haben einen Charme und etwas Besonderes, einen Reiz, der einen nicht wieder loslässt.

Und wie entdeckt man diesen Charme? Indem man sie nicht bedrängt, sondern wartet.

Die wollten erst mal riechen, sind ja Nasentiere, und wenn man dann ruhig bleibt und sie nicht bedrängt, wollen sie meistens mehr wissen… die kontrollieren mal ihre Taschen, schnuppern überall rum.

Und bei der Gelegenheit hat Karin Becker angefangen, die Schafe zu kraulen. Das kannten die Schafe so nicht. Und fanden es prima.

Zum Schluss war ich ihr Putzerfisch, sie kamen dann, sie standen auch in Schlange und wollten gekrault werden. Für mich, für meine Finger war das sehr gut, denn ich hatte auch zwei OPs an den Händen und die wurden eigentlich gar nicht mehr so richtig gut, die Hände und durch dieses viele Kraulen und durch diese Wolle wurde das alles perfekt wieder geheilt und so hatten wir beide was davon.

Schafe können heilsam sein. Für Leib und Seele, aber auch für unsere Umwelt. Sie „befrieden“- im wahrsten Sinn des Wortes. Draußen in der Natur fressen sie zum Beispiel wildwuchernde Büsche nieder.

Und auf der anderen Seite sorgen sie dafür, dass der Samen der Pflanzen vor allem der Wildpflanzen auch weitergetragen wird, um dann die Artenvielfalt zu erhalten. In der Wolle hält sich ja unheimlich viel auf und die Schafe sind absolute Bio- Lkws könnte man sagen.

Mir war das alles gar nicht so bewusst. Vielleicht auch deshalb, weil wir Schafherden mit ihren Hirten kaum mehr zu Gesicht bekommen draußen. Viele Schäfer können nicht mehr von ihrer Arbeit leben.

Es gibt Schäfereibetriebe, die in der siebten, achten Generation sind. Es geht da ein Wissen verloren und kulturell bedeutet das auch, dass wir ja viele Bilder, die z.B. in der Bibel auftauchen, gar nicht mehr verstehen können.

Was meint Jesus, wenn er sagt: der gute Hirte, das bin ich!? Was macht eigentlich einen Hirten zu einem guten Hirten? Und warum könnten wir von Glück reden, ein Schaf in Jesu Herde zu sein?

Hirten mit Leitungskompetenz

Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Vielleicht kennen und lieben Sie auch diesen 23. Psalm. Er meint: Gott ist da für mich. Wie ein guter Hirte für seine Schafe. Aber was ist ein guter Hirte? Karin Becker ist Pfarrerin und Hirtin. Die 59jährige hat aus eigener Erfahrung mit ihren Schafen verstanden: die sind alles andere als dumm. Und sie brauchen einen Hirten, der vor allem eins hat: Leitungskompetenz.

Wenn die Schafe Zweifel daran haben, an ihrer Leitungskompetenz, werden sie Ihnen das sehr bald zeigen. Und werden jede Gelegenheit nutzen um auszubüchsen und Sie haben verloren. Wenn Sie mit den Schafen frei gehen, dann müssen die Schafe 100 Prozent davon überzeugt sein: die wird uns niemals in eine schwierige Situation bringen, wir können uns ihr anvertrauen.

Der gute Hirte, das bin ich, hat Jesus gesagt. Kein orientalischer Despot, wie damals üblich, sondern einer, der be- hüten kann.

Es gibt zwei Formen des Hütens, das ist einmal das enge Gehüt, also da will man die Schafe beieinander halten. Das ist, wenn schlechtes Wetter ist oder auch Gefahren drohen. Und es gibt das weite Gehüt, das heißt, es ist eine große Fläche zum Beweiden da und man lässt die Schafe auch weit gehen. Und ich würde mal sagen: Gott ist derjenige, der das weite Gehüt bevorzugt. Und so darf jedes Schäfchen auch gucken und darf sich kundig machen, aber von Zeit zu Zeit sollte dieses Schäfchen mal gucken, ob es den Hirten noch sehen kann.

Aber was soll man tun als Hirte, wenn sich die Schäfchen zu weit entfernen? Was überzeugt Schafe, die zu weit weggelaufen sind? Weg von der Herde, raus aus der Kirche?

Auch das ist ein altes Hirtenprinzip. Es macht keinen Sinn, hinter den Schafen herzurennen, die sind immer schneller als Sie. Das musste ich leidhaft erfahren. Sie müssen dableiben. Sie müssen rufen. Und dann bleiben die irgendwann stehen, drehen sich um,  gucken zurück und kommen wieder. Wenn der Hirte rennt, dann ist Panik, dann ist alles vorbei. Und diese Geduld zu haben, um auf die Kirche zu kommen, diese Geduld wünschte ich mir. Wir sind jetzt in der Phase, wo wir etwas erhalten müssen für die kommenden Generationen.

Dass die Schafe auch den Weg zu kommenden Generationen ebnen können, das weiß Karin Becker aus ihrer Arbeit als Pfarrerin. Da nimmt sie ihre Schafe gern mal in den Konfirmandenunterricht oder zum Religionsunterricht mit.

Ich hatte einen, der hieß Kevin. Wo legt sich mein Schaf ab zum Schlafen? Zu Füßen dieses Kevin. Und der Kevin war wie ausgewechselt und hat gesagt: seid ruhig, das Lamm schläft. So einen Satz hat der noch nie gesprochen, in seinem ganzen Leben nicht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27511
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