SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Ist es ihnen auch schon mal so gegangen? Sie sind an einem Ort gelandet, wo sie nie hinwollten. Ich meine jetzt nicht eine verirrte Autofahrt, sondern tatsächlich als Wohnort. Das passiert ja immer wieder. Viele haben ihre Heimat im Krieg zurücklassen müssen. Es kann aber auch viel harmloser sein. Die angehende Lehrerin bekommt ihre erste Stelle 150 Km entfernt, und muss ihren Freundeskreis zurücklassen. Die Nachbarin muss jetzt doch ins Altersheim, obwohl sie das nie gewollt hat.

Solche Situationen hat es schon immer gegeben. Auch dem Volk Israel ist es so gegangen. Davon möchte ich ihnen erzählen. Das war um 600 vor Christus. Damals hat der Nachbarkönig aus Babylon ihr Land erobert. Er hat die Hauptstadt Jerusalem zerstört und alle Politiker und Verwaltungsleute einfach mitgenommen. Plötzlich waren diese verschleppten Menschen in einem fremden Land und haben ihr Zuhause und ihre Freunde vermisst. Sie haben auch nicht gewusst, ob sie irgendwann wieder zurückkönnen. Was macht man, wenn man keinen Plan hat, wie es weitergeht? Man macht nur das Nötigste. Man knüpft nicht erst groß Freundschaften, man kauft sich keine komplette Wohnungseinrichtung, sondern richtet sich mehr provisorisch ein.

Außerdem hat man eh nicht viel Elan, wenn man so verzweifelt ist. Und in diese Situation rein kommt ein Brief aus der Heimat. In dem Brief steht: „Baut da, wo ihr jetzt seid, Häuser und wohnt darin. Legt euch auch Gärten an. Heiratet und gründet Familien. Engagiert euch in euerer neuen Stadt. Und betet für sie. Dann geht es der Stadt und euch gut.

Ich weiß nicht, was sie denken. Wenn ich so am Boden wäre wie die Leute damals und würde so eine Liste an Aufgaben geschickt bekommen, dann würde ich sagen: „Tut mir leid, ich kann nicht.“ Zum Glück standen in dem Brief noch zwei wichtige Informationen, sonst hätte ihn keiner ein zweites Mal gelesen. Die erste Information: Euer Exil in Babylon ist absehbar. In 70 Jahren dürfen eure Nachfahren wieder zurück nach Jerusalem. Und als zweites: Gott ist auch jetzt, hier im Ausland, bei Euch. Und sein Herz ist voller Liebe und Frieden für euch. Diese Worte haben alles verändert. Sie haben die Leute nicht nur getröstet, sondern als sie das gelesen haben, ist eine riesige Last von ihnen abgefallen. Denn bis dahin haben sie sich immer Sorgen gemacht, ob Gott für sie hier in der Fremde überhaupt erreichbar ist. Er wird sie doch nicht vergessen haben.

Zu der Zeit waren viele Menschen aus Israel im Ausland, in Babylon. Und zwar nicht freiwillig, sondern der babylonische König hat sie dahin verschleppt. Es war deprimierend. Aber durch den Brief haben die Leute erfahren: Ihr Exil im Nachbarland wird nicht ewig gehen. Spätestens ihre Enkel dürfen wieder zurück in die Heimat. Und sie haben gelesen, dass Gott auch in der Fremde bei ihnen ist. Und dann gab es in dem Brief noch eine Liste von Dingen, die sie tun sollen: Häuser für sich bauen, Gärten anlegen, heiraten, Kinder kriegen, ihre Kinder verheiraten und sich für ihre Stadt einsetzen.

Mir macht dieser Brief tatsächlich Mut. Denn ich überlege mir öfters mal, ob es sich überhaupt lohnt, sich zu engagieren. Bringt das was oder ist es nur eine Eintagsfliege? Ich hätte das am liebsten vorher schon schwarz auf weiß, dass mein Projekt erfolgreich wird. Und wer weiß, vielleicht bin ich schon wieder weg aus meiner Stadt, bevor mein Projekt richtig angelaufen ist? Doch warum so zögerlich? Der Brief liefert auch mir einen guten Grund, warum ich mich einsetzen soll. Da steht:
Es ist gut für die Stadt und gut für einen selbst. Ich habe tatsächlich schon tolle Projekte in meiner Stadt kennengelernt. Und beeindruckende Persönlichkeiten, die dahinterstehen. Zum Beispiel die Sonntagsküche. Da kochen Woche für Woche sonntags Ehrenamtliche für die Hilfsbedürftigen der Stadt. Sie machen Frühstück und Mittagessen. Andere engagieren sich im Gemeinderat. Und es gibt auch Leute, die regelmäßig für meine Stadt beten. Eine Gruppe macht das einmal im Monat, 24 Stunden am Stück.

Wie wäre es, wenn sie und ich uns für diese Woche eine Sache überlegen, die wir für unsere Nachbarschaft oder unsere Stadt tun können. Ich bin gespannt, wie kreativ wir sind. Aus dem Brief von damals nehme ich drei Sachen für mich mit: Erstens: Das Leben passiert im Hier und Jetzt. Es kann losgehen, auch wenn die Umstände noch nicht perfekt sind. Ich brauche nicht auf den perfekten Moment zu warten, um mit etwas Sinnvollem zu starten. Was da im Brief aufgezählt wird, sind alles Aktivitäten, die die Gemeinschaft stärken. Und da gibt es heute auch noch viele Möglichkeiten. Als zweites will ich mir merken: Engagement zählt sich auch dann aus, wenn es nicht auf Dauer angelegt ist, oder wenn ich nicht sagen kann, ob es für lange Zeit funktionieren wird. Und der dritte Punkt ist dieses Versprechen aus dem Brief: Wenn es der Stadt gut geht, geht es mir auch gut.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag.

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27489
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