Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Du segnest mein Leben mit Sehnsucht.“ Das hören die Besucher bei den Abend-Gottesdiensten auf der kleinen Insel Iona in Schottland. „Du segnest mein Leben mit Sehnsucht.“ – Momentmal, denke ich. Sehnsucht? das ist doch kein Segen. Sehnsucht tut weh.

Ich habe das gespürt als ich drei Wochen zur Reha war. Wie oft hatte ich Sehnsucht nach meiner Frau. Das ist nicht schön. Sehnsucht ist, wenn mir etwas fehlt, das sehr wichtig ist für mich. Sehnsucht fühlt sich eher an wie Strafe. Was soll daran gut sein – also ein Segen? Aber dann habe ich plötzlich verstanden, was das heißen könnte:

Ich habe auf meinem kleinen Balkon gesessen und geseufzt, weil ich mich nach Hause gesehnt habe. Bilder sind an mir vorbeigezogen: Das Lachen meiner Frau, die gemeinsamen Abende auf der Terrasse, die Gespräche über das, was wir am Tag erlebt haben, die Berührungen, wie wir uns gegenseitig ärgern…

Die Sehnsucht hat mich richtig im Griff und lässt nicht locker. Ich will sie gerne loswerden. Doch dann ist mir plötzlich klargeworden. Eigentlich kann ich unheimlich dankbar sein für all das Schöne. Genau das ist es, was die Sehnsucht mir zeigt: Was mir guttut, was wichtig für mich ist - wirklich wichtig. Und dass es nicht selbstverständlich ist.

Ich habe zum Handy gegriffen, um zuhause anzurufen – doch dann habe ich es wieder zur Seite gelegt und stattdessen meinen Block geholt und angefangen, einen Brief zu schreiben. Nicht darüber, wie sehr ich sie vermisse, sondern darüber, wie glücklich ich mit ihr bin.

So hat mir die Sehnsucht die Augen geöffnet und mir einen wundervollen Augenblick geschenkt, in dem ich einem Menschen ganz nah gewesen bin, obwohl er über 400 km weit weg war.

Gott, Du segnest mein Leben mit Sehnsucht. Wie gut, dieses Gefühl nicht wegzuschieben, sondern mir von ihm zeigen zu lassen, was wirklich wichtig für mich ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27270
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