SWR4 Abendgedanken

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Ich merke immer wieder, dass es bei mir narzisstische Züge gibt. Das Thema beim Narzissmus ist ja, eine gesunde Selbstliebe zu entwickeln. Und das fällt mir manchmal schwer, wenn ich mich zum Beispiel mit anderen vergleiche. Wenn ich merke, dass sie im Beruf besser ankommen als ich oder etwas perfekt erledigen, wenn bei mir immer noch kleine Fehlerteufel zu finden sind. Das wäre ja an sich normal, aber manchmal kratzt es mich irgendwie tiefer an.

Und das hat vermutlich etwas mit meinem Narzissmus zu tun. Der Begriff „Narzissmus“ bezieht sich auf eine antike Geschichte. Sie erzählt von dem bildschönen Jüngling Narziss. Er ist so schön, dass er sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt. Er wird dabei so auf sich fixiert, dass er seine Umwelt und die anderen Menschen nicht mehr wahrnehmen kann. Als ihn hübsche junge Frauen zu sich rufen,  sucht er danach, wo das Rufen herkommt.  Dabei entdeckt er sein eigenes Spiegelbild in einem Teich. Er verliebt sich. Und weil er denkt, dieses hübsche Bild habe ihn gerufen, stürzt er sich in den Teich und ertrinkt.

Es geht beim Narzissmus also um eine Selbstliebe, die das Leben nur schwer macht. Wenn ich davon betroffen bin, blende ich die Wirklichkeit aus und renne einem Idealbild von mir hinterher. Und wenn ich das nicht erreiche, gleiche ich das aus, indem ich mich einfach als etwas Besseres ausgebe und notfalls damit protze, wie mächtig oder reich ich bin. Dahinter steckt der Wunsch, von anderen bewundert zu werden. Und wenn ich  die vielen Bewunderer sehe, ist es ja klar, dass sich da nur die schönen Seiten meines Ichs spiegeln. Echte Narzissten sind oft bereit alles dafür zu tun. Auf lange Sicht macht das aber nicht zufrieden, weil es ja nicht echt ist. Es steigert nur die Sehnsucht immer mehr  bewundert zu werden.

Wenn ich wieder mal in diese Falle tappe, erinnere ich mich gerne an eine andere Geschichte: Da geht es auch um einen jungen Mann, der das perfekte Leben sucht. Er kommt zu Jesus und sagt, dass er schon alles tut um perfekt zu sein. Und er will wissen, was er noch mehr dafür tun kann. Jesus geht diesem Perfektionismus-Wahn aber nicht auf den Leim. Er verlangt von ihm einfach etwas, was er nicht kann – seinen Reichtum aufzugeben, alles zu verschenken, was er hat. So bringt er ihn auf den Boden der Wirklichkeit zurück. Nur wenn dem jungen Mann gelingt, dass er sich so akzeptiert wie er wirklich ist, kann er zufrieden werden. Nicht perfekt, sondern gesundes Mittelmaß wie die meisten Menschen. Ich will das auch versuchen und lernen, dass ich mir sagen kann: Auch wenn du Mittelmaß bist: Es ist gut, dass es Dich gibt.

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