SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Die meisten verbinden mit den Brüdern Grimm wahrscheinlich Märchen wie Rotkäppchen oder Hänsel und Gretel. Mich beschäftigt vor allem die Motivation, mit der die Brüder Grimm Märchen gesammelt haben. Sie wollten damit vor gut 200 Jahren die deutsche Nation mehr oder weniger neu erfinden, indem sie gesammelt haben, was als deutsche Kultur galt. Und dazu gehörten die Märchen, aber auch die deutsche Sprache. Die Brüder Grimm haben eine deutsche Grammatik verfasst und so versucht, über die vielen Dialekte hinaus eine gemeinsame Sprache festzuschreiben. Sie hatten ja gerade erst erlebt, wie Europa zerfallen ist und die religiöse Ordnung von katholischen oder evangelischen Staaten nicht mehr funktioniert hat. Für mich scheint es so, als ob sie deshalb nach etwas gesucht haben, was die Menschen in dieser Situation zusammenhalten sollte . Etwas, womit sich jeder identifizieren kann: Eine Nation, eine Sprache und ein gemeinsames Kulturgut. Und ich habe den Eindruck, dass diese Frage gerade heute wieder an vielen Stellen hochkocht. Allein wenn ich daran denke, wie über unsere Fußballnationalmannschaft diskutiert wird, wie sie zusammengesetzt ist und dass sie bei der WM vorzeitig ausgeschieden ist. 

Ich wünsche mir manchmal, dass es etwas gibt, wovon ich sagen kann, das macht mich als Deutscher aus und da fühle ich mich als Deutscher daheim.

Für mich gehört zu einem Deutschland, in dem ich mich daheim fühle, unbedingt die demokratische Ordnung und die Menschenrechte. Dass jeder Mensch Rechte hat, die ihm zustehen. Nicht erst, wenn er deutscher Staatsbürger ist. Zum Beispiel das Recht auf Asyl. Ich habe den Eindruck, dass manche das heute nicht mehr allen Menschen zugestehen wollen. Zumindest nicht ohne Bedingungen. Und auch das Recht, dass ich meine Religion frei ausüben kann. Aber eben nicht nur ich, sondern auch die, die eine andere Religion haben und auch die, die selbst keine Religion haben wollen. Wenn ich dieses Recht als Deutscher habe, kann ich mich als Christ auch gut in diese Gesellschaft integrieren.

Aber es ist nun mal so, dass ich damit das Deutsche nicht mit Eigenschaften beschreiben kann, die andere ausschließen. Auch Deutsche, die nicht in Deutschland geboren sind, oder nicht meinen Dialekt sprechen oder nicht meine Religion haben. Wenn ich Deutscher sein möchte, dann eher, weil ich Mitglied einer Nation sein möchte, die gemeinsame Werte hat und diese in ihrem Land verwirklicht. Und dabei weiß ich aber, dass diese Werte nicht exklusiv für Deutsche gelten, sondern im besten Fall allen Menschen nützen. Weil es uns Deutschen um das geht, was alle Menschen sich wünschen: Eine Heimat, die Gerechtigkeit, Geborgenheit und Freiheit bietet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27153
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