SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Immer wieder höre ich, dass es in Deutschland wieder mehr Leute gibt, die eine antisemitische Einstellung haben. Und auch die Zahl der antisemitischen Straftaten steigt wieder. Mir macht das Sorgen. Als ob die Hitler-Zeit und die Nazis heute wieder zurückkommen könnten. Dass die Leute antisemitisch geworden sind, ist weder damals noch heute plötzlich gekommen. So bitter es ist, es hat auch mit den Wurzeln des Christentums zu tun. Auf den ersten Blick kann ich es manchmal kaum glauben: Jesus war doch selbst Jude und er hat in erster Linie für jüdische Menschen gepredigt. Auch bei seinen Heilungen macht er nur ab und zu eine Ausnahme und hilft Andersgläubigen, als zum Beispiel ein römischer Hauptmann ihn um Hilfe bittet. Und es ist, als ob er selbst bei diesen Ausnahmen noch dazulernt. Und merkt, dass das, was er lehrt, nicht nur Juden, sondern auch andere Menschen anspricht und berührt.

Die ersten Christen waren noch überwiegend Juden. Sie haben sich nur nach und nach dafür geöffnet, dass auch  Nicht-Juden Christen werden können. Es ist doch eine tragische Entwicklung, dass dies dazu führt, dass sich die Christen immer mehr vom Judentum lösen und sich später gegen die Juden richten und sie verfolgen. Als ob sie vergessen hätten, wo sie herkommen.

Und genauso tragisch ist doch auch, dass die Leute sich am Anfang tolerant und offen verhalten wollen, und dass dieses Verhalten zurückschlägt und daraus eine Feindschaft entsteht. Das klingt sogar wie Wasser auf die Mühlen  derer, die davor warnen, dass wir in Deutschland heute zu offen und tolerant mit fremden und andersgläubigen Menschen umgehen. Die Lehre aus dieser Geschichte ist für mich nicht, dass eine Kultur nur Nachteile bringt, wenn sie offen ist für andere. Und dass hier alle gleich denken und leben sollen. Wie langweilig wäre denn eine Gesellschaft, in der alle dasselbe denken?

Ich bin grundsätzlich dafür, dass alle gegenseitig respektieren, was andere glauben und wie sie leben. Und das erwarte ich von allen Seiten.

Als Christ heißt das für mich besonders, dass ich meine Ursprünge nicht vergesse. Das, was ich glaube, stammt aus dem Judentum. Wenn es also wieder neues antisemitisches Denken in Deutschland gibt, dann muss mir das größte Sorgen machen. Weil es auch gegen die Ursprünge meines Glaubens geht und weil ich nicht will, dass sich die Fehler des Anfangs wiederholen und dass Christen womöglich noch zu Handlangern der neuen Antisemiten werden. Lieber will ich mit Jesus lernen, wie man Schritt für Schritt offener für andere wird. Ohne dass ich vergesse, was mein Glaube ist, aber mit Respekt und Wertschätzung für das, was andere Menschen glauben und leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27151
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