SWR4 Sonntagsgedanken

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Es fällt leicht, sich zu schämen

„Ich schäme mich.“ Wer das sagt, weiß, dass er einen Fehler gemacht hat. Oder, dass er nicht so gut war, wie er sich es vorgenommen hatte. Wenn ein Mensch sich schämt, dann ist sein Gesicht gerötet. Die Augen sind auf den Boden gerichtet, damit bloß keiner dem Beschämten in die Augen schauen kann. Dass einer sich schämt, kann man wegen solcher Zeichen gut erkennen.

Dabei sind die Gründe, um sich zu schämen, sehr unterschiedlich. Schon Kleinigkeiten können der Anlass sein. Ich war selbst mal dabei: Auf einem 80. Geburtstag hat einer der Gäste ein Glas Rotwein umgestoßen. Der Wein hat sich über den Tisch und das Kleid der Gastgeberin ausgebreitet. Oh, das war peinlich! Der Gast hat es ja nicht beabsichtigt, es war ein Missgeschick. Aber fast eine Viertelstunde lang konnte er danach mit der Jubilarin nicht mehr sprechen. So geschämt hat er sich für seine Tollpatschigkeit.

Was hätte er jetzt tun können? Er konnte ja nicht so tun, als ob nichts wäre. Es hatte auch jeder gesehen, dass er es war. Am liebsten wäre er wohl weggelaufen. Aber das ging ja nun gar nicht

Die Feier hätte an dieser Stelle für alle unangenehm werden können. Jeder am Tisch hätte sich bemüht, die Rotweinflecken zu übersehen. Niemand hätte das Missgeschick angesprochen. Die Scham des Gastes hätte sich ausgebreitet. Den anderen hätte er leidgetan. Manche hätten sich für ihn geschämt.

Dann hat das Geburtstagskind schließlich gesagt hat: „Es ist doch nicht so schlimm!“ Da konnte die Feier ungetrübt weiter gehen. Ich nehme mal an, dass beide ein paar Tage später über diesen Zwischenfall lachen konnten. So kleine Missgeschicke eignen sich beim nächsten Geburtstag, um die Stimmung aufzulockern: „Weißt Du noch, wie ich damals den Rotwein verschüttet habe?“.

Tatsächlich ist es ja so, dass die meisten Menschen ziemlich genau wissen, was richtig ist. Oder auch was falsch ist. Meistens lehren einen ja Eltern und Großeltern Werte und Ideale. Wenn ich dann einen Fehler mache, dann schäme ich mich. Und da sind die Tischmanieren nur ein Beispiel.

Faszinierend oder? Ein schlechtes Gewissen oder Scham breiten sich über den ganzen Tisch aus. Gott sei Dank ist das ja dann nicht passiert. Und es ist deshalb nicht passiert, weil die Jubilarin es deutlich angesprochen hat: Ja, Du hast einen Fehler gemacht. Wir wissen es beide. Ich spreche es jetzt aus. Und damit helfe ich Dir aus Deiner Scham und wir verstehen uns weiter gut. Mit Scham kann man umgehen.

So offen damit umzugehen, wenn sich einer schämt, das hilft sehr. Es hilft, das schlechte Gewissen zu vertreiben. Für den 80. Geburtstag war das wie ein Neuanfang der Feier.

Es fällt leicht, Scham zu überwinden

Scham ist ein grundlegendes Gefühl. Seit Jahrtausenden ist es als Empfindung den Menschen vertraut. Schon in den allerersten Geschichten der Bibel kommt deshalb auch Scham vor. Und zwar als erstes Gefühl der Menschen überhaupt.

Die beiden ersten Menschen, Adam und Eva, bekommen von Gott zwei Regeln gesagt. Die erste Regel: Sie dürfen von allen Bäumen im Garten Eden essen. Die zweite Regel: Nur von einem bestimmten Baum dürfen sie nicht essen.

Aber natürlich: Das macht sie erst recht neugierig. Also essen beide von diesem Baum. Und gleich danach schämen sie sich. Denn mit ihrer Neugier und ihrer Eigenmächtigkeit stehen sie ganz schön nackt da.  Abends, erzählt die Bibel, geht Gott im Garten spazieren und unterhält sich mit Adam. Dieses Mal aber versteckt sich Adam, weil er sich schämt, nackt zu sein.

Ich finde ganz spannend, was dann passiert. Gott fragt Adam: Warum hast Du denn meine Regel nicht eingehalten? Und Adam sagt: Die Frau hat mir zu essen gegeben. Da fragt Gott die Frau: Warum hast Du das gemacht? Und Eva schiebt es auf die Schlange. Ich finde das interessant, weil es so realistisch ist: Wer sich schämt, der kann seinen Fehler nicht zugeben. Der versucht seine Schuld abzuschieben auf andere.

Um die Konsequenzen ihrer Tat kommen beide nicht herum erzählt die Bibel. Sie können nicht länger in dem paradiesischen Garten bleiben, wo man sich nicht zu schämen braucht. Nun leben sie in der realen Welt und kennen das Gefühl, sich zu schämen. Sie schämen sich vor Gott, voreinander und vor sich selbst.

In der Geschichte wird dann aber auch erzählt, dass Gott reagiert. Er lässt beide nicht nackt da stehen. Er hilft beiden aus ihrer Scham und macht ihnen Kleidung. Er zeigt damit: Ja, Ihr habt einen Fehler gemacht. Wir wissen es alle. Ich spreche es aus. Ihr müsst die Konsequenzen tragen. Aber ich helfe euch, mit der Scham umzugehen und wir verstehen uns weiter gut. Ein Neuanfang für die drei.

Mir macht diese Geschichte in zweierlei Hinsicht Mut. Erstens macht sie mir Mut, ehrlich zu sagen, wenn ich mich mal schäme. Das ist der erste Schritt zu einem Neuanfang. Und zweitens ermutigt sie mich auch, anderen aus der Scham heraus zu helfen. Das geht, wenn ich wie Gott in dieser Geschichte oder die Jubilarin auf dem Geburtstag ernst nehme, was den anderen beschämt.

Oft lässt sich das lösen. Mit Verständnis, mit einem Gespräch, und indem ich mich in den anderen hineinversetze. Mit Scham kann man umgehen. Es liegt an mir, ob ich den anderen nackt da stehen lasse oder sein Missgeschick anspreche und verzeihe.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gesegnete Woche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27101
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