SWR4 Sonntagsgedanken

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Im Versteckspiel Vertrauen lernen
Kennen Sie das Kuckuck-Spiel? Neulich habe ich im Park eine Großmutter beobachtet, die das mit ihrem Enkelkind gespielt hat. Das kleine Kind hat im Kinderwagen gelegen. Seine Großmutter hat sich die Hände vors Gesicht gehalten. Und nach kurzer Zeit wieder von ihren Augen wegbewegt. Dabei hat sie gerufen: „Da ist die Oma!“

 

Das kleine Kind hat laut und fröhlich über den Platz gequietscht. Die beiden haben mir so viel Spaß gemacht bei ihrem Versteckspiel das ich eine Weile zusehen musste. Für das Kind war das anscheinend ein lustiger Wechsel: Mal ist die Oma weg und ganz plötzlich ist sie wieder da. Und auch die Großmutter hatte sichtbar Freude an dem gemeinsamen Spiel.

Ein bisschen mehr steckt aber in diesem Spiel: Denn das Kind lernt dabei Schritt für Schritt, dass die Oma eben doch da ist. Und nicht einfach verschwindet. Für ein sehr kleines Kind gilt nämlich das alte Sprichwort „Aus den Augen, aus dem Sinn.“ Wenn es sie nicht direkt vor Augen hat, dann ist für das Kind die Oma einfach nicht da. Ein  paar Monate später kann man dieses Spiel aber nicht mehr spielen. Da ist dem Kind klar: Die Oma ist bloß versteckt. Sie ist aber trotzdem ganz in der Nähe.

Und wenn das Kind noch älter wird, wird es eines Tages verstehen: Die Oma wohnt vielleicht in einem anderen Ort. Aber sie ist da, ich denke an sie und sie denkt an mich. Darauf kann ich vertrauen.

Diese kleine Beobachtung vom Heranwachsen hat für mich auch etwas mit mir und Gott zu tun. Den habe ich ja auch nicht jeden Tag vor Augen. Ich suche ihn. Und ich freue mich, wenn ich das Gefühl habe: Da ist er gerade. An einem besonders schönen Tag vielleicht. Wenn etwas gelungen ist. Wenn ich mich freuen kann. Diese Erfahrungen helfen mir zu glauben, dass er auch an den anderen Tagen ganz in der Nähe ist. Auch, wenn ich ihn nicht sehen kann.

Und es tut mir gut, wenn ich mich an diese Momente erinnere. Einen hatte ich vor ein paar Wochen in dem Park, wo die Großmutter gespielt hat. In diesem Park steht eine Bank am äußersten Ende. Zwei Bäume stehen rechts und links. Ich habe mich an einem stressigen Tag dort hingesetzt. Ein Brunnen plätscherte. Es ging ein leichter Wind. Und in dem Moment dachte ich: gerade ist alles um mich herum und in mir friedlich. In solchen Momenten spüre ich: Gott ist ganz in der Nähe.

Leider war dieser Augenblick nicht für die Ewigkeit gemacht. Jetzt warte ich schon wieder eine ganze Weile auf so einen Moment. Selber machen kann ich so einen nicht. Da heißt es, die Geduld bewahren. Gott wird sich schon wieder bemerkbar machen.

Trotz Versteckspiel weiter vertrauen
Ich glaube: Das lässt sich gut auf die Beziehung zwischen Menschen und Gott übertragen. Ich kann ihn zwar auch nicht sehen, manchmal fühlt er sich weit weg an. Trotzdem ist er da.

Dieser gute Gedanke ist aber nicht von mir. Ich leihe ihn mir von Jeremia aus dem Alten Testament. Jeremia war ein Prophet. Das heißt, er hat den Menschen gesagt, was Gott ihm gesagt hat. Einmal muss Jeremia die Menschen erinnern: Gott hat sich Euch schon ein paar Mal gezeigt. Er hat Euch aus Ägypten befreit. Er hat Euch die 10 Gebote gegeben. Vergesst nicht, wann und wo Ihr Gott schon getroffen habt. Und dann lässt Gott noch ausrichten: „Ich bin ein Gott, der sich weit weg anfühlt. Das heißt aber nicht, dass ich nicht da bin! Ich bin überall.“ (Jer 23,23f.)

Das ist, finde ich, bis heute ein guter Ratschlag: Nicht vergessen, wann und wo ich Gott schon einmal getroffen habe. Das hilft, nicht aufzugeben, auch wenn Gott sich ganz weit weg anfühlt.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Peter. Peter ist 62, er hat zwei Kinder und ist gerade Großvater geworden. Er hat mir erzählt: „Es ist schon Wahnsinn. Mit so einem kleinen Menschen, das ist wie ein Wunder. Die Welt wird gleich viel schöner.“ Das ist doch nah an dem dran, was Gott sagt, oder? Ich bin überall. Und im Wunder der Geburt ist für Peter die Welt ganz wundervoll.

Ein bisschen später hat Peters anderer Sohn den Kontakt zu ihm abgebrochen. Peter fragt sich: „Warum muss das sein?“ Für Peter fühlt sich Gott weit weg an, wenn er daran denkt. Er sagt mir: „Ich fühle mich ganz allein gelassen.“ Dann erinnert er sich an die andere Erfahrung mit dem Enkel, wie schön die Welt sein kann. Und er denkt daran, dass Gott sich ihm gezeigt hat. Das macht ihm Hoffnung, dass alles besser wird. Das macht ihm Mut, den Kontakt zu seinem Sohn wieder zu suchen.

Das ist natürlich viel ernster als das „Kuckuck-Spiel“ von Oma und Enkel auf der Bank in der Stadt. Aber es geht in beiden Fällen ums Vertrauen. Das Enkelkind lernt: Die Oma ist da. Peter lernt: Gott ist da. Das Kind, weil es die Oma immer wieder findet und ihr vertrauen lernt. Peter, weil er in seinem Leben Gott schon einmal ganz nah gespürt hat. Wenn er sich daran erinnert, fasst er Vertrauen. Weil er weiß: Gott ist bei mir, auch wenn es sich gerade ganz anders anfühlt..

Erinnern Sie sich doch heute mal daran: Wo haben Sie Gott schon einmal getroffen? Ich glaube:  Es wird nicht das letzte Treffen gewesen sein. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gesegnete und treffliche Woche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26566
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