SWR2 Wort zum Tag

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Es gibt die berühmte Redensart von den Geistern, die man ruft, aber nicht mehr loswird. Sie stammt aus Goethes Ballade „Der Zauberlehrling“. Dieser Zauberer-Azubi, nutzt die Abwesenheit seines Meisters, um einmal auszuprobieren, was er kann und wie weit er damit kommt. Goethes Ballade trifft damit genau den Moment, in dem ein junger Mensch seine Fähigkeiten entdeckt und entfaltet. Wenn ich sehe, was ich kann, kann ich unabhängig werden. Mündig und erwachsen. Und wenn viele Christen jetzt am Wochenende Pfingsten feiern, geht es auch darum: wie ich als Christ mündig werden und mich mit meinen Fähigkeiten entfalten kann.

Der Zauberlehrling in Goethes Ballade hat es immerhin so weit gebracht, dass er einen Besen dazu bringt, für ihn Wasser zu holen. Das Problem ist nur, dass er den Besen nicht mehr stoppen kann und verzweifelt sagen muss: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“ (Goethe, Johann Wolfang von: Der Zauberlehrling, in: Werke [HA] I, 276-279, hier 279).

Mir kommt es so vor, als ob viele Völker in Europa und in der Welt in Sachen Demokratie gerade ähnliches durchmachen. Sie gehen erste Schritte in die Mündigkeit und haben (endlich) eigene demokratische Wahlen. Aber die Wahl, die sie treffen, führt sie eher weg davon, mündig zu werden. Die Regierungen, die sie gewählt haben, schränken ihre demokratischen Rechte ein. Und hier in Deutschland sieht es auch oft so aus, dass viele Leute sich von einfachen Wahrheiten angesprochen fühlen. Das ist ja nicht nur einfacher, sondern auch weniger anstrengend, als sich auf Diskussionen einzulassen und mit den komplexen Antworten zu beschäftigen, die viele Politiker und Experten haben. Für manche scheint es nahe zu liegen, den Islam als Wurzel der Probleme zu sehen. Anstatt die vielen kleinen, mühevollen Schritte anzupacken, die nötig wären, damit Menschen aus verschiedenen Ländern und mit verschiedenen Religionen miteinander leben können. Aber der einfachere Weg könnte dazu führen, dass wir auch rufen müssen: „Die ich rief, die Geister, wird ich nun nicht los“

Wenn ich als Christ zu Pfingsten Gottes Geiste anrufe, orientiere ich mich an einem ganz anderen Geist. Gottes Geist ist lebensbejahend. Und zu diesem Leben gehört für mich, dass ich bereit bin, mich den komplexen Antworten zu stellen. Dass ich kleine Schritte mache. Gottes Geist ist auch ein Geist, der Mut macht, dass ich nicht zurückschrecke aus Angst vor den Problemen, die sich aus diesen Schritten ergeben. Sondern dass ich mir und den anderen zutraue, dass wir neue Lösungen finden, wenn wir den Weg gemeinsam gehen und offen sind für diesen Geist, der will, dass unser Leben gelingt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26466
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