SWR1 Begegnungen

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Ilka FriedrichAnnette Bassler trifft Ilka Friedrich, Pfarrerin für interreligiöse Beziehungen in Mainz

Zu Hause ist, wo man sich mich nicht rechtfertigen muss

Sie ist Pfarrerin und organisiert in Mainz Begegnungen zwischen Christen, Muslimen, Juden undMenschen anderer Religionen. Wie zum Beispiel in der Mainzer Synagoge. Dort haben sich vor zwei Wochen Gläubige aller Religionen getroffen. Um 8 jungen Leuten- Christen, Juden und Muslime zuzuhören, wie die ganz konkret von ihrem Glauben im Alltag erzählt haben. Und davon, dass sie auch Freunde haben unter denen Andersgläubigen. Weil die Beziehung zählt. „Zu Hause bin ich dort, wo ich mich nicht rechtfertigen muss.“ Aber geht das? In einer Zeit anwachsender Fremdenfeindlichkeit?

Ich glaube, dass das geht. Und ich glaube, es ist die große Chance über den interreligiösen  und interkulturellen Dialog ein grundsätzliches Wohlwollen und Vertrauen zu gewinnen, dass man dann auch über kritische Fragen ins Gespräch kommt. Ohne Angst zu haben, direkt verurteilt zu werden, sondern wirklich von Mensch zu Mensch zu begegnen.

Zu Hause bin ich dort, wo ich mich nicht rechtfertigen muss. Der Satz geht mir nach. Wie oft muss ich mich rechtfertigen für meinen Glauben- auch vor Christenmenschen. Und wie oft erwarte ich, dass andere sich rechtfertigen? Weil sie nicht so sind, wie ich das gerne hätte. Ilka Friedrich hat die Vision, dass das geht- Wohlwollen und Vertrauen entwickeln. Zum Beispiel so:

Ich war verabredet mit einer jungen Muslima in einem türkischen Restaurant und wir wollten uns unterhalten über eine künftige Veranstaltung. Und seit Jahren habe ich mir wieder angewöhnt, ein kurzes Tischgebet zu sprechen und das wollte ich ganz leise am Tisch tun um meine Gesprächspartnerin nicht zu irritieren und dann schaute Birsa mich an und sagte:  „Ach bete doch laut für uns, ich bete mit.“

Natürlich glaubt die junge Muslima nicht an Jesus Christus oder an den dreieinigen Gott der Christen. Sie hat auch nicht mit Ilka Friedrich gebetet, sondern -neben ihr.

Das Anteilnehmen am Gebet des anderen, das geht. Und das Nebeneinander-Beten. Ich halte im Moment nichts davon, unsere verschiedenen Gebetsvorstellungen einfach zu vermischen. Das schafft mehr Irritation als Zusammenhalt. Aber mitzubekommen, wie sich jemand zu Gott hinwendet und daran Anteil zu nehmen, sei es zum trinitarischen Gott im Christentum oder zu Allah im Islam oder in anderen Religionen, das wahrzunehmen und wert zu schätzen, das verbindet sehr.

Den Anderen erst mal ihren Glauben lassen, sie nicht gleich als versponnen, fanatisch oder gar gewaltbereit zu verdächtigen, das wünsche ich mir auch. Nur so wächst Vertrauen. Und dann? Dann muss man miteinander reden. Miteinander, nicht übereinander reden. Denn Frieden ist immer konkret. Er entsteht von Mensch zu Mensch. Indem man mit ihm im Alltag etwas tut.

Frieden ist immer konkret

Vor einiger Zeit hat der bayrische Ministerpräsident vorgeschlagen, Kreuze an die Wand von Gerichtssälen anzubringen. Um die Strahlkraft des Christentums zum Leuchten zu bringen. Als Pfarrerin für interreligiöse Beziehungen in Mainz hat Ilka Friedrich dasselbe Ziel. Aber ihr Weg ist ein anderer.

Anderen zu helfen, ihr Menschsein, auch ihre Religion zu leben, finde ich eigentlich einen zutiefst christlichen Zugang zum Nächsten. Und natürlich ist es für mich wichtig, ein christliches Zeugnis abzulegen in unserer Stadt, aber dazu gehört eben auch, den Nächsten zu lieben und ihn erstmal so anzunehmen, wie er ist.

Wenn also in einer Stadt auch Muslime und Juden oder Hindus leben, dann braucht es neben der Kirche auch eine Moschee, eine Synagoge und einen Tempel, meint Ilka Friedrich.

Ich glaube, Religion in der Öffentlichkeit zu haben, auch durch Synagogen oder Moscheen  das ist auch immer eine Möglichkeit, Transparenz zu schaffen, auch Orte der Begegnung.

Orte, an denen man sich treffen kann. Wo jeder mal Gast und mal Gastgeber ist. Wo man sich nicht auf Gewalt gegen Andersgläubige einstimmt, sondern aufs Zuhören und Fragenstellen. Und sich niemand für seinen Glauben rechtfertigen muss. Wenn wir, die christlich geprägte Mehrheitsgesellschaft, an den einen Gott glauben, dann ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Menschen mit anderen Religionen Heimat finden.

Und ich glaube, dass dies in Orten der Transparenz viel besser geschehen kann als an irgendwelchen merkwürdigen Orten, an denen Menschen das Gefühl haben: wir werden hier nicht anerkannt und wir müssen was Ganz eigenes fernab der Öffentlichkeit machen.

An solchen Orten kann man üben, miteinander ins Gespräch zu kommen. Sich kennenzulernen. Angst abzubauen. Wie zum Beispiel vor zwei Wochen in der gut gefüllten Mainzer Synagoge. Da haben sich 8 junge Christen, Juden und Muslime über ihren Glauben ausgetauscht. Dass der ihnen sehr wichtig ist. Dass sie aber nicht mit allen können. Nicht mit denen, vor denen sie sich ständig rechtfertigen müssen. Ilka Friedrich freut sich, wie selbstverständlich sie im Alltag multikulti leben. Und auch am Glaubensgespräch interessiert sind. Wie schön, wenn wir, die ältere Generation sie dabei unterstützt. So wie an jenem Abend in der Synagoge.

Für mich einer der schönsten Momente -war lange nach der Veranstaltung. Ich stand noch draußen und sprach mit einem anderen Menschen über eine nächste Veranstaltung. Und die Jugendlichen standen in einem kleinen Grüppchen beieinander. Alle waren schon weg. Dann haben sie eine eigene Whatsapp- Gruppe eingerichtet, um sich zu vernetzen. Und riefen mir zu: Ilka, wir machen jetzt noch ein bisschen weiter, aber wir gehen in eine Kneipe und machen dort interreligiösen Dialog.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26432
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