SWR1 Begegnungen

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Andreas Rieck ist Referent für „vinzentinische Spiritualität“ am Marienhospital Stuttgart. Das Marienhospital wurde 1890 von Vinzentinerinnen, einer katholischen Ordensgemeinschaft, gegründet. Heute versorgen dort knapp 2000 Mitarbeiter jedes Jahr über 100.000 Patienten. In diesem riesigen Klinikbetrieb gibt es genau eine Person, die sich um all das kümmern soll, was sich bei den Mitarbeitern angestaut hat; also 2000 Mal Stress, Frust, Ärger, Freude und Leid. Da scheint mir das Wort „Herkulesaufgabe“ mehr als angebracht und deshalb will ich wissen, welche Spezialausbildung diese eine Person, Andreas Rieck, hat, um sich dieser Aufgabe täglich zu stellen:

„Was hilft, in meinem Fall, ist eben ein Theologiestudium, weil damit wird mir unterstellt, eine spirituelle Kompetenz zu haben. Was aber aus meiner Sicht auch noch dazu beiträgt, ist, ein psychologisches Know-How zu haben. Also ich hab ja eine Coaching-Ausbildung gemacht, zusätzlich zum Theologiestudium, so dass diese – ich sag mal – theologische, spirituelle Ebene aber auch nochmal so eine menschliche Ebene verknüpft.“

Das Theologische, mit psychologischem Know-How, vor allem mit dem Menschlichen zu verbinden – das also macht ein sogenannter „Referent für vinzentinische Spiritualität“; so lautet jedenfalls die offizielle Bezeichnung der Stelle, die Andreas Rieck im Marienhospital seit 2014 mit Leben füllt.

„Die Stelle gabs vor mir nicht und als ich begonnen hab, dann wurde ich so durchs Haus geführt von meinem Chef und der hat gesagt: ‚Das ist unser neuer Referent für vinzentinische Spiritualität!‘, und alle haben große Augen gekriegt, gell, und – Boah! – da hab ich schon gemerkt, dass da eine gewisse Distanz auch da ist. Die Erfahrung, die ich aber in den ersten Monaten gemacht habe, war schon die, dass ich dann in meinem Büro saß und dass die Nachfrage nach mir jetzt nicht sonderlich groß war, weil ‚s’Gschäft goht vor!‘ – also: Wo ist Raum für Spiritualität, außer vielleicht in der Kapelle? Und das hat mich schon auch genötigt, mir Gedanken zu machen: Was mache ich, um mir Relevanz auch zu schaffen, sodass die Leute merken, es bringt was.“

Und wie bekommt man das hin? Etwas so zu sagen, dass der Andere spürt: Es wirkt?

„Der Einstieg ist immer eine Geschichte, weil ich merke, so Weisheitsgeschichten oder so kurze Geschichten sind Herzensöffner. Beispielsweise gibts da diese Geschichte von den zwei Mönchen, die unterwegs sind, schweigend des Weges gehen, und dann kommen sie irgendwann an einen Fluss und an diesem Fluss steht eine Frau, die gern auf die andere Seite des Ufers möchte. Und es gibt keine Brücke, mehr so eine Furt. Und die Frau, schön gekleidet, bittet die Mönche, ihr zu helfen, auf die andere Seite des Flusses zu gelangen. Der Ältere nimmt sie kurzerhand Huckepack, trägt sie durchs Wasser, sie verabschieden sich von der Frau und gehen dann schweigend weiter. Und irgendwann nach längerer Zeit bricht es so aus diesem jüngeren Mönch heraus und er sagt: ‚Mensch, du hättest das vorher nicht tun dürfen! Du hättest diese Frau nicht durchs Wasser tragen dürfen, weil du weißt, dass uns näherer Kontakt zu Frauen verboten ist.‘ ‚Soso!‘, sagt der Ältere und überlegt und sagt: ‚Weißt du, der Unterschied zwischen dir und mir ist der: Ich hab die Frau zurückgelassen am Ufer und du, du trägst sie immer noch mit dir herum in deinen Gedanken.‘“

Zu lernen, wie man unnötige Lasten nicht mehr nachträgt, ist ein Teil des Resilienz-Konzeptes, das Andreas Rieck entwickelt hat, um die Widerstandskraft der Klinik-Mitarbeiter zu stärken. Und nach der Musik erzählt er uns mehr davon.

Musik

Mit seinen Resilienz-Trainings für die Klinik-Mitarbeiter im Marienhospital hat Andreas Rieck voll ins Schwarze getroffen, denn:

„Das Thema Resilienz trifft im Moment einen Nerv, aber doppeldeutig: Auf der einen Seite ist es so, dass diese Stärkung der psychischen Widerstandskraft, was sich ja hinter dem Begriff Resilienz verbirgt, einerseits gerade eine Wissenschaftlichkeit hat, ja auch sehr stark in den Medien rezipiert wird.
Gleichzeitig ist es aber so, dass dieser Begriff Resilienz auch eine Schattenseite hat, weil – Stichwort Pflegenotstand – man muss die Leute resilient machen, um mit den Missständen umgehen zu können. Also das heißt: Jetzt brauch ich Resilienz, weil die Umstande so negativ sind.“

Dennoch will Andreas Rieck kein netter Rede-Onkel, sondern eine handfeste Unterstützung sein:

„Ein gängiger Ansatzpunkt ist der, zu gucken, was stört oder was fordert mich im Moment heraus und dann zu schauen, wo bin ich mit meiner Aufmerksamkeit? Bin ich gerade in meinem Spielraum oder bin ich gerade in einem Bereich, wo ich keinen Einfluss habe, weil ich mich über jemanden aufrege oder übers Leben und in dem Moment also nicht bei mir bin. Und dann die Frage: Wie komme ich in meinen Spielraum zurück? Und das geht eben über diese drei Fragen, nämlich
1) Was kann ich ändern?
Kann ich was ändern? Dann wird’s leichter. Kann ich nichts ändern? Dann die Frage:
2) Kann ich es annehmen, so wie es ist?
Kann ich diesen inneren Widerstand aufgeben? Kann ich ihn aufgeben, dann wirds mir leichter. Wenn nicht, dann bleib ich im Leiden und dann ist die dritte Option, zu gucken:
3) Wie kann ich mich von dieser Situation distanzieren?
Selbstverantwortlich, selbstbestimmt zu gucken, dass ich da einen Abstand gewinn, um wieder mich zu sammeln und in meine Kraft zu kommen. Und wenn das gelingt, dann spüre ich, dass ich einen Spielraum habe. Und diesen Spielraum – das ist meine Überzeugung, dass wir immer, in jeder Situation einen Spielraum haben und in diesen Spielraum hineinzuführen und ein Bewusstsein dafür, für diesen Spielraum, zu schaffen, dass der da ist, das merk ich, das führt dazu, dass bei den Mitarbeitern so auch eine Zuversicht wächst oder so eine Gelassenheit gegenüber bestimmten Situationen, und das tut gut.

Ist überhaupt genug Zeit da, um das im übervollen Klinikalltag einzuüben?

„Auch hier ist es so, dass die Seminardauer früher bei ein bis zwei Tagen lag, und heute sind wir angekommen bei beispielsweise drei Mal einer Stunde über zwei, drei Wochen verteilt.“

Ganz schön knapp. Aber: Mich fasziniert und fesselt dieser Ansatz, gerade angesichts der knappen Zeit, weil ich merke, dass es nicht zuletzt bei mir selbst noch richtig viel zu tun gibt.

Schafft Andreas Rieck es denn selbst, seinen Ansatz immer umzusetzen?

„Nee - so ischs Leben! Natürlich nicht, aber ich merke: Immer mehr!“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26276
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