SWR4 Sonntagsgedanken

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Kardinal Lehmann ist tot. Genau vier Wochen ist es heute Morgen her, dass diese Eilmeldung durch die Nachrichten ging. Kardinal Lehmann, der frühere Bischof von Mainz und langjährige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Die Anteilnahme war riesengroß. Tausende haben in der Mainzer Seminarkirche von ihm Abschied genommen, als er dort aufgebahrt war. Und Tausende haben ihn auf seinem letzten Weg durch die Mainzer Altstadt zum Dom begleitet, wo er nun beigesetzt ist. Kardinal Lehmann: Für mich war er der personifizierte Inbegriff für eine menschenfreundliche Kirche, die fest im Glauben steht und gerade deshalb die Offenheit, Lebensfreude und Zuversicht ausstrahlt, die sonst oft genug vermisst wird. Vieles, was in den letzten Wochen über ihn gesagt wurde, war schon zu seinen Lebzeiten immer wieder zitiert worden und kam nun auch wieder, nicht nur aus pietätvoller Höflichkeit: Viele hundert liebevolle Kommentare finden sich im Kondolenzbuch, das das Bistum Mainz auch im Internet aufgelegt hat: Nicht nur bei Katholiken. Gerade auch bei denen, die sich mit der Kirche schwer tun, bei Andersgläubigen, bei Kritikern der Amtskirche hat Kardinal Lehmann Brücken gebaut und Türen offengehalten mit seiner überzeugenden Art, die keine Rechthaberei, Kleinkariertheit oder Polemik nötig hatte, um sich Gehör zu verschaffen. Wer ihn einmal laut lachen gehört hat, wird das nicht mehr vergessen. Wer einmal mit ihm persönlich sprechen konnte, erinnert sich an seine besondere Art, die dem Gegenüber für den Moment alle Aufmerksamkeit und alles Interesse schenkte. Er war aber nicht nur der Kirchenmann aus dem Fernsehen. Er war nahbar, man konnte ihn ansprechen: nicht zuletzt in der Mainzer Altstadt, wo er oft spazieren ging, so lange es ihm gesundheitlich möglich war. Auch in den letzten Lebenswochen war er gern unter Menschen. Im Rollstuhl, gezeichnet von seinem Schlaganfall wurde er – oft unerkannt und doch mittendrin – durch die Mainzer Altstadt gefahren. Für uns Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bistums waren die Tage nach seinem Tod vor vier Wochen sehr ereignisreich. Vieles war zu organisieren. Und ich habe jetzt gemerkt, wie hilfreich ein alter kirchlicher Brauch ist: Es gibt die Tradition des „30er-Amtes“: Ein Gedenkgottesdienst etwa 30 Tage nach Tod und Beerdigung. Da hat man Abstand, um sich noch einmal in Ruhe zu erinnern. Da ist man nicht mehr im Treiben von Organisieren und Funktionieren, bis alle Formalitäten erledigt sind. Das 30er-Amt hat seinen Sinn. Der Tod liegt dann vier Wochen zurück. Der Alltag beginnt. Die Gedanken können sich neu sortieren. Neues kann beginnen.

Die Nachrufe sind verklungen, die Kränze in der Gruft verblüht; der Alltag ist wieder da. Manches kommt mir in den Sinn, was in den vergangenen Tagen war: Ich glaube, es ist kein Zufall, dass Kardinal Lehmann ausgerechnet am Laetare-Sonntag, einem Sonntag als Vorbote des Osterfestes, gestorben ist. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass sein letztes bisher erschienenes Buch „Von der Würde des Alters“ heißt. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass ausgerechnet die sonst nicht so kirchenfreundliche Zeitung „taz“ es war, die den für mich persönlichsten und rührendsten Nachruf veröffentlicht hat. Vieles wurde für mich in diesen Tagen des Abschieds deutlich von dem, was dem Kardinal auch im Leben ein Herzensanliegen war: „Einheit im Glauben in der Vielfalt unseres Lebens, ohne Scheuklappen und Uniformismus“, wie er es in seinem Geistlichen Testament formuliert hat. Und so geht es jetzt auch um die Frage: Was bleibt? Da hilft der Brauch des 30er-Amtes, des Gedenkens mit einem gewissen Abstand. Und der Blick geht nach vorne: Als Mitarbeiter durfte ich ihn bei manchen Publikationen unterstützen. Ich bin sicher, in seinen hunderten von noch unveröffentlichten Manuskripten lässt sich noch so manches finden, was in seinem Sinn für die gesellschaftlichen Fragen von heute wichtig und aktuell ist: die Frage nach Gott; wie es in der Ökumene weitergeht; wie die Kirche zu denen steht, deren Leben nicht so glatt und bilderbuchmäßig verläuft; wie Christen hier in Europa auch künftig mit den vielen Menschen anderer Kulturen und Traditionen gut zusammenleben können. Da hat Kardinal Lehmann noch so manches bisher vielleicht unentdecktes Vermächtnis hinterlassen. Die bisherigen Buchtitel sprechen schon für sich: „Glauben bezeugen – Gesellschaft gestalten“, „Zuversicht aus dem Glauben“, „Mut zum Umdenken“, „Mut zum Dialog“, „Auslotungen“, um nur wenige Beispiele zu nennen. Oder auch: „Auf dem Weg zum Leben“. So heißt ein Buch mit seinen Texten zur Osterzeit. Vielleicht lohnt es sich gerade jetzt in diesen Ostertagen und mit dem Abstand von vier Wochen zu seinem Tod, diese Texte noch einmal in neuem Licht zu lesen. Kardinal Lehmann hat sich ja nun selbst „auf den Weg zum Leben“ gemacht. Zum 30er Gedenken erinnere ich mich daran und an vieles mehr: Als er als Bischof von Mainz verabschiedet wurde, hat er sehr eindringlich an sein bischöfliches Leitwort erinnert. Es stammt aus der Bibel und bringt vieles auf den Punkt: „Seid wachsam, steht fest im Glauben, seid mutig, seid stark! Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ (1 Kor 16,13-14). Das ist Erbe und Auftrag. Danke!, „Vergelt's Gott“ und: „Auf Wiedersehen!“, Kardinal Lehmann!

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26219
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