SWR1 Begegnungen

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Dr. Swantje GoebelJanine Knoop-Bauer trifft Dr. Swantje Goebel, Leiterin der HospizAkademie Bergstraße

Jeder und jeder stirbt auf eigene Art
Die promovierte Soziologin befasst sich hauptberuflich mit dem Tod. Gemeinsam mit einer Kollegin verantwortet sie die Leitung der HospizAkademie Bergstraße. Das Thema hat sie schon im Studium gepackt und seitdem nicht wieder losgelassen.

Ich fand das (…) zuallererst soziologisch total faszinierend, weil der Tod ja etwas ist, was uns alle betrifft und was uns gegeben ist und wir kommen nicht drumrum und müssen uns dazu verhalten und gleichzeitig ist es so etwas Hochemotionales. Es ist nicht so, dass wir alle dazu einen routinemäßigen Zugang haben. Wir haben ganz unterschiedliche Strategien mit unserer Sterblichkeit umzugehen.

Wir alle sind sterblich, klar. Aber wie jemand stirbt, das ist immer auch anders – individuell verschieden. Ich stelle es mir nicht leicht vor Sterbende zu begleiten und mich dabei immer wieder neu einzulassen auf die Situation. Aber genau darum geht es. Das musste auch Swantje Goebel erst lernen.

Eine Frau, die hatte eine Art mit ihrer Situation umzugehen, die ich persönlich gar nicht gut aushalten konnte und da wurde ich damit konfrontiert – mit dem Anspruch der Hospizarbeit: wertfrei zu sein, offen zu sein. Jeder Mensch hat seinen eigenen Weg. Es geht nicht darum, dass ich meine, wie die das jetzt zu machen hat.

Jemanden zu haben der für mich da ist, der sich selbst zurücknehmen kann und mich nicht vorschnell verurteilt. Das wünsche ich mir auch im Leben – nicht erst im Sterben. Und Swantje Goebel macht klar: Obwohl jede und jeder auf eigene Art stirbt: so sehr unterscheiden sich die Wünsche Sterbender nicht von denen, die mitten im Leben stehen.

Ich würde auch sagen, dass es schon (…) Bedürfnisse Sterbender gibt, die alle miteinander verbinden (…) die Bedürfnisse die wir alle haben: Wir wollen Liebe, wir wollen Anerkennung. Wir wollen wahrgenommen werden, wir möchten, dass unsere Würde respektiert wird, dass wir selbstbestimmt leben können, dass wir (…) gerade wenn es an Lebensende geht noch Kontrolle über das eigene Leben haben können.

Leben in Würde – bis zuletzt. So heißt auch der Leitsatz des Hospizvereins, zu dem die HospizAkademie gehört. Um eine würdestärkende Begleitung Sterbender, darum geht es Swantje Goebel zuallererst. Dabei setzt sie auch auf ein Verfahren das der kanadische Psychologe Harvey Chochinov entwickelt hat: Sie führt Interviews mit Sterbenden im Hospiz und dokumentiert deren Leben. Daraus erstellt sie ein Dokument, das an die Hinterbliebenen weitergegeben werden kann. Das kann heilsam sein – für beide Seiten.

Wir wissen, dass Menschen sich große Sorgen machen um ihre Angehörigen. (…) Gerade bei jüngeren Eltern (…) die wissen: Ich kann mein Kind nicht aufwachsen sehen, kann das ein großer Trost sein und ein Stück innerer Frieden zu wissen, ich habe ein paar Gedanken von mir in ein Dokument bringen können und ich weiß mein Kind kann das rausholen wenn`s traurig ist und an mich denken will.

Den Tod als Teil des Lebens begreifen
Swantje Goebel setzt sich dafür ein, dass Menschen in der letzten Phase ihres Lebens würdevoll und achtsam begleitet werden.

Unser Ziel mit der Akademie ist es Hospizkultur in die Gesellschaft zu bringen. Das heißt, dass wir dafür sensibilisieren möchten: Was brauchen Menschen eigentlich, die sich in dieser besonderen Lebenssituation befinden?

Diese Fragen kenne ich aus eigener Erfahrung: Wie gehe ich um mit Menschen, die gerade einen Verlust hinnehmen müssen? Wie begegne ich Menschen, die unheilbar krank sind? Ich kenne das Gefühl, angesichts von Trauer und Unglück anderer hilflos zu sein und ängstlich. Und genau da setzt das Angebot der Hospizakademie an.

Es geht ja ganz viel darum. Dass wir aushalten, dass dieser Mensch gerade nicht glücklich ist und dass wir aushalten, dass wir ihn auch nicht glücklich machen können, dass das nicht unser Auftrag ist, sondern einfach aushalten, dass dieser Mensch Schmerz hat und wahrnehmen und signalisieren: Du darfst so sein wie Du bist! Vielmehr braucht´s eigentlich nicht.

Mir fallen die Freunde Hiobs ein, aus der biblischen Geschichte. Als Hiob alles verloren hatte sind sie zu ihm gekommen. Lange haben sie mit ihm geschwiegen, aber dann konnte sie es nicht mehr aushalten. Sie konnten sich nicht zurückhalten mit gutgemeinten Ratschlägen und haben versucht sein Unglück theoretisch zu erklären. Aber auch Hiob hat sich etwas anderes gewünscht. Aushalten. Da sein. Achtsam sein. Ich bin froh, dass es Menschen gibt wie Swantje Goebel. Sie helfen dabei, dass wir uns das zutrauen. Und sie leiten andere Hauptamtliche in der Hospizakademie dazu an, dieses Wissen weiterzugeben.

Der andere Bereich ist tatsächlich auch, dass wir Weiterbildungen anbieten für Fachkräfte und da auch gucken: was gibt es an neuen Themen und neuen Inhalten.

Den Tod als Teil des Lebens begreifen. Das ist nicht leicht. Jesus hat das seinen Freundinnen und Freunden mit einem Bild aus der Natur erklärt: Ein Weizenkorn fällt in die Erde, sagt er, aber nur wenn es stirbt bringt es Frucht. In der Karwoche, die morgen beginnt, denke ich an Jesus Tod. Jesus ist gestorben damit ich mich mit dem Tod auseinandersetze und meine Angst davor verliere. Seine Botschaft ist: Es gibt Leben über den Tod hinaus. Und trotzdem: der Tod erschreckt die Menschen. Warum das so ist? Swantje Goebel hat eine Idee. Aber sie ist auch zuversichtlich: Für die meisten Menschen ist der Tod ein wichtiges Thema – mitten im Leben:

Wir haben diese alltäglichen Begegnungen nicht. Es wird nicht allerorten bei uns zu Hause gestorben, sondern das findet schon in Institutionen statt und ich muss vielleicht 40 werden bis ich das erste Mal mit einem Leichnam in Berührung komme (…) aber trotzdem haben wir den Wunsch uns damit auseinander zu setzen – Das glaube ich schon. Ich glaube, dass es schon so eine neue Aneignung der eigenen Sterblichkeit gibt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26136
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