SWR1 Begegnungen

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Ein Flughafen steht für mich fürs Verreisen: Ganz egal, ob in den Urlaub oder auf Dienstreise. Für Marjon Sprengel steht der Flughafen allerdings… 

„Für was Geistiges – man geht in die Luft.“ 

Marjon Sprengel arbeitet für die Kirchlichen Dienste Flughafen Messe und Ihr Büro liegt hinter einer unscheinbaren Glastür im Terminal 3 des Stuttgarter Flughafens. Sie vertritt im Auftrag der katholischen Kirche – zusammen mit ihrem evangelischen Kollegen – die beiden christlichen Kirchen auf dem Flughafen und der Messe Stuttgart. Dabei leistet sie eine wichtige Arbeit: Marjon Sprengels Aufgabe ist es, für das einzustehen, was am Flughafen kaum Platz zu haben scheint: Das Langsame, das Stille und das Menschliche.

Das, was sie in ihrem Dienst tut, nennt Marjon Sprengel „Flughafen-Seelsorge“ und beschreibt es so: 

„Flughafen-Seelsorge: Ah, die sind da, wenn irgendwas passiert. Das ist ein Teil unseres Auftrags und es passiert natürlich auch immer wieder etwas.“ 

Und das verlangt allen, die unmittelbar davon betroffen sind, auch Marjon Sprengel selbst, einiges ab. Sie ist froh, dass der Flughafen in Stuttgart bislang von einer großen Katastrophe verschont geblieben ist. Allerdings erinnert sie sich noch gut an einen ihrer intensivsten Krisen-Momente. Es war… 

„Eine Katastrophe, die nicht hier passiert ist, aber die Stuttgart auch sehr betroffen hat, war diese Germanwings-Maschine, die von dem Co-Piloten gegen den Berg geflogen wurde, weil hier eine große Niederlassung war und ist – jetzt ja Eurowings – natürlich hat man sofort sich um Angehörige kümmern müssen und das war auch alles wichtig und gut, nur die Kollegen und Kolleginnen, die sind so ein bisschen im luftleeren Raum gehangen, die kennen sich untereinander ja großteils; viele hier in Stuttgart haben den Kollegen gekannt, sind mit dem auch schon geflogen und haben natürlich auch, wenn du das mitkriegst: Einer deiner Kollegen fliegt eine Maschine, voll besetzt, gegen einen Berg – und du musst am gleichen Tag und am Tag darauf deinen Job trotzdem weitermachen – das finde ich, ist eine ziemliche Belastung und die kamen auf uns zu mit der Bitte, für sie irgendeine Andacht – oder so, wie sie es genannt haben – mit ihnen das zu feiern und dann haben wir das zugesagt und haben einfach eine Form für diese Situation und genau für diese Gruppe uns überlegt: Was brauchen die jetzt? Was ist wichtig anzusprechen? Was braucht und will einen Raum? Welche Gestaltung wählen wir, dass sie das auch in einem Symbol vielleicht ausdrücken können? Das kannst du ja auch nicht unbedingt verbalisieren. Und wir haben dann so eine Feier mit fast 100 Menschen – aber wirklich nur Kabinenpersonal, Piloten, Pilotinnen – gefeiert.“ 

Diese Augenblicke zählen ohne Zweifel zu den intensivsten Momenten in der Flughafen-Seelsorge, denn: 

„Es ist für mich die schwerste Übung, auszuhalten, dass jemand am Ende ist – egal aus welchem Grund; ob jetzt körperlich, seelisch, psychisch oder mit einer Beziehung oder mit dem Lebensmut – das auszuhalten und die eigene Hilflosigkeit und Ohnmacht nebendran auszuhalten und zu akzeptieren – und das ist für mich auch eine Form von Liebe und Nächstenliebe.“ 

Ich habe den Eindruck, dass es gerade die Krisen sind, die Marjon Sprengel und ihre Arbeit prägen. Dieser Eindruck ist aber genauso richtig wie trügerisch: Eigentlich sind es die vermeintlichen Kleinigkeiten, die den Flughafen zu einem magischen Ort machen und von denen Marjon Sprengel im zweiten Teil dieser Begegnung, nach der der Musik, erzählen wird.

Teil II: 

Nach dem Germanwings-Unglück 2015 waren es keine großen Worte, die Marjon Sprengel gesagt hat, um dem Schmerz und der Fassungslosigkeit entgegenzutreten. Sie hat Blumen sprechen lassen. Und die Kolleginnen und Kollegen konnten auf diese Weise in der Andacht selbst entscheiden, wofür diese Blume stehen soll. Je länger man mit Marjon Sprengel spricht, desto klarer spürt man Ihre Haltung hinter diesen Taten: 

„Da hab ich begriffen, was in den Evangelien, in diesen Heilungsgeschichten oft steht, wenn Jesus fragt: ‚Was willst du – was willst du, dass ich dir tun soll?‘“

 Für Marjon Sprengel geht es nicht darum zu wissen, was andere brauchen. Im Gegenteil: Sie braucht vielmehr Andere, die aussprechen können, was ihnen getan werden soll. Deshalb ist es auch wichtig, dass Marjon Sprengel, eine ruhige, eher zierliche und ungemein freundliche Frau ist, denn mit ihrer Ruhe und Freundlichkeit spürt sie, was den Mitarbeitenden während der Arbeit gut tut:

 „Gut tut, völlig unbefangen auf sie zugehen, wirklich kurz Zeit haben und vor allem mich ernsthaft interessieren, also ich meine es dann so und wenn ich einen Tag hab, wo es mir selber nicht gut geht oder wo ich merk: ‚Oh, heut kann ich nicht.‘, dann geh ich auch nicht raus und frag niemand ‚Wie geht’s?‘, wenn ich es nicht wissen will. Solche Tage gibts ja auch.“ 

So pflanzt Marjon Sprengel überall auf dem Flughafen unsichtbare Blumen. Und diese Blumen beginnen immer dann zu blühen, wenn durch eine kurze Begegnung Mitarbeitende erleben, dass sie nicht als Angestellte, sondern als Menschen gesehen werden.

Ich will wissen, wie der Flughafen sie selbst verändert hat: 

„Nicht ich bring irgendwas vom Göttlichen, Unverfügbaren, von dem Anderen, hier her, aber hier begegnets mir im ganz normalen, unscheinbaren Alltag, im Unspektakulären. Und das ist das, wo ich denke: Ja, ist doch wunderbar! Das hab ich nicht im Kloster gelernt oder bei den Theologen, sondern das lehrt michs Leben und die Menschen.“ 

Der Flughafen, die Menschen und das Leben – sie sind Marjon Sprengels wichtigste Lehrer geworden.

 

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26014
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