SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Wunder soll es ja immer wieder geben. Doch was tun wenn sie ausbleiben. Wenn meine Gebete nicht erhört werden. 

Hast Du nicht genug gebetet !? Die Frage, die der sechsjährige Moritz in der Kindertagesstätte der Frau im Rollstuhl stellt kommt frei heraus.

Nicht genug gebetet. Wie meinst du das ? meint die ziemlich verwundert. Und auch da hat der kleine Moritz sofort seine Erklärung parat: Weil bei dir der Jesus kein Wunder gemacht hat. So wie bei all den gelähmten Menschen in meiner Kinderbibel, die wieder gehen konnten.

Fast die Hälfte der Deutschen glauben, laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach, an Wunder.

Landauf landab gibt es Berichte von wundersamen Ereignissen, die faszinieren und weitererzählt werden. Wir können nicht genug davon bekommen. Von dem, der nach dem Sturz von der Leiter im Rollstuhl saß und kurze Zeit später kerngesund auf beiden Beinen im Leben steht. Vom Tumor im Kopf, der plötzlich aufhört zu wachsen und schließlich ganz verschwindet. An Wallfahrtsorten steht auf unzähligen Gebetstafeln selbstbewusst mit Name und Datum versehen: „Maria hat mir geholfen“. 

Auch die Bibel berichtet Wunderbares. Da sehen die Blinden wieder das Licht der Sonne, die Tauben lernen wieder hören und die Gelähmten lassen ihre Gehhilfen einfach so stehen und laufen los. Selbst Tote stehen von ihrer Bahre auf und sind lebendiger denn je.

All die wundersamen Geschichten verleihen unserer kühlen und durchrationalisierten Welt übernatürlichen Glanz und werden auflagenstark verbreitet und weitergeleitet.

Im Evangelium, das heute in den katholischen Kirchen verlesen wird, heilt Jesus einen Menschen der an Aussatz leidet. Aussatz bedeutete damals lebend tot zu sein. Nicht nur gesundheitlich am Ende waren solche Menschen, sondern auch und das war noch viel schlimmer, völlig isoliert.  Die Angst vor Ansteckung war groß. Schon von Ferne mussten sie andere auf ihre Krankheit aufmerksam machen und lautstark rufen: „Vorsicht. Ich bin krank und unrein“. 

Der Aussätzige im Evangelium missachtet all diese Regeln. Er schafft es bis zu Jesus hin, fällt vor ihm auf die Knie und bittet: Wenn du willst, kannst du machen, dass ich rein werde. Jesus hat Mitleid. Er macht was keiner macht. Was zudem strengstens verboten ist. Er berührt ihn mit der Hand. Jesus scheint davon überzeigt zu sein: Nur so kann das Wunder geschehen. Der kranke wird geheilt.

Doch was er dann sagt ist schwer zu verstehen. Nimm dich in Acht.Erzähl niemandem etwas davon. Lediglich zu einem Priester schickt er ihn. Das war damals so üblich. Der musste die Heilung offiziell bestätigen und damit die Quarantäne aufheben.

Aber die Heilung herumerzählen ? Niemals ! Und das hatte seinen Grund. 

Jesus hat viele schwerkranke Menschen geheilt. Aber er wollte nicht, dass sie damit hausieren gehen. Menschen die ihren Glauben an Gott nur auf Wunder aufbauen, die ihm buchstäblich nur wegen seiner Wunder nachlaufen und nicht mehr in Ruhe lassen – das geht für Jesus schon gar nicht. So bringt er es an einer anderen Stelle in der Bibel auf den Punkt, indem er sagt:  Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht. Glauben an Gott in der Hoffnung, dass ein Wunder geschieht. Eine herbeigesehnte Heilung und ein Ende der Schmerzen. Eine Prüfung, die bestanden werden muss. Eine Rettung aus einer ausweglosen Situation. Wem ist das zu verübeln.

Doch wie gehe ich damit um, dass viel öfter die Wunder ausbleiben. Die Gebete nicht erhört werden. Die Krankheit bleibt. Jemand für immer im Rollstuhl sitzen muss oder ein Tumor nicht kleiner, sondern größer wird. Jesus scheint da realistisch zu sein. Wer seinen Glauben nur von Wundergeschichten her begründet und lebt wird schnell eines Besseren belehrt. Er hat es selbst erlebt und erlitten. Jahr für Jahr hören wir davon, wenn wir von Aschermittwoch an seine letzten Wege betrachten. Bis ans Kreuz. Nach der ausgelassenen und so schönen Faschingszeit.

Auch bei ihm bleiben die Wunder aus. Sein Kreuzweg erinnert bis heute an die Kreuzwege von uns Menschen. Was er durchmacht ist auch vielen Menschen heute leider nicht fremd. Verurteilung und Verhör vor selbsternannten Richtern. Misshandlung und Brutalität. Verlassenheit und Verzweiflung.

Seine letzten Worte am Kreuz werden bis heute verzweifelt ausgesprochen. Mein Gott, warum hast du mich verlassen. Wo bist du? Hörst du mein Beten und Rufen überhaupt?

Selbst er, der so sehr auf einen guten Gott vertraute, wird buchstäblich Gott – los im Sterben.

An Gott glauben. Ohne Wunder. An Gott selbst dann noch glauben wenn wir ihn  suchen und an ihm zweifeln.  Wo Schreckensmeldungen, Todesfälle, Hass und Terror uns von allen Seiten bedrängen. Wo sich fundamentalistische Streiter auf ihren Gott berufen, der angeblich mit ihnen in den Kampf zieht, um eine in ihren Augen ungläubige Welt nieder zu metzeln.

Auch wenn es sich seltsam anhört. Vielleicht sind gerade Zweifel und Erfahrungen der Gottlosigkeit wichtig für meinen Glauben. Wichtiger noch als alle Wunder der Welt.

Vor Menschen, die Gott suchen, ein Leben lang, brauche ich keine Angst zu haben. Sie sind oft ganz treu und so ehrlich. Von denen, die meinen ihn zu besitzen, buchstäblich behaupten ihn im Griff zu haben geht Gefahr aus. 

Der große Theologe Karl Rahner meinte einmal, Glauben heißt nichts anderes, als die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang auszuhalten. Er hat recht. Vielleicht kennen sie ja Menschen, oder gehören gerade selbst dazu, die sich durch Wüsten schleppen müssen und die Hoffnung nicht aufgeben. Die Gott suchen in ihrem handicap. Ihr Glaube, der ohne Wunder auskommt und ihr Vertrauen machen mich oft sprachlos.

Übrigens. Der kleine Moritz staunte nicht schlecht, als ihm die Frau mit dem Rollstuhl zeigte, welche Hindernisse sie überwinden kann und muss. Ganz alleine. Und wie sie es schafft in ihr Auto zu kommen um loszufahren. Auch wenn ein Wunder bei ihr ausgeblieben ist. 

Ich wünsche Ihnen – und schon wieder kommt dieses Wort – einen wunderschönen Faschingssonntag und ab Mittwoch eine gute Zeit der Vorbereitung auf Ostern zu.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25888
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