SWR1 Begegnungen

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Andreas Kirchartz und ich kennen uns aus dem Studium. Er ist Priester geworden. Ich werde bald meine eigene Familie gründen. Das heißt, auf ihn warten an Heiligabend kein Weihnachtsbaum,
kein Kartoffelsalat und keine Bescherung im Kreis der Familie.
Was Advent und Weihnachten ohne die liebgewonnen Traditionen aus Kindertagen bedeuten, hat Andreas Kirchartz zum ersten
Mal in Rom erlebt. Dort hat er während seiner Ausbildung ein Jahr lang gelebt und auch Weihnachten dort verbracht:

„Und es war traurig. Es war traurig, definitiv, ja.“

Nicht, dass er es in Rom nicht genossen und viele Menschen um sich herum gehabt hatte,

„…aber an Weihnachten, da bin ich klassisch bürgerlich, da fehlt mir dann die Familie, wenn die nicht da ist. Mir hat aber schon auch ein bisschen die Kälte gefehlt, also… so diese ganzen Erinnerungen, alles, was ich mit Weihnachten verbinde – klar, Schnee haben wir hier auch nicht immer – aber es hat einfach die Sonne geschienen und es waren so 10/15 Grad in Rom; damit konnt ich nicht so ganz, ja. Aber es war eine gute Erfahrung, weil nur dadurch ist mir wieder bewusst geworden, wie schön es einfach auch mit der Familie ist.“

Und so geht es mir ja auch – tausend funkelnde Kindheitserinnerungen sausen mir durch den Kopf und bis heute rüttle ich nicht an meinen liebgewonnen Ritualen. Bei Andreas Kirchartz gibt nun allerdings der Gottesdienstplan den Ton an, und wenn er nicht gerade seine Ministranten bei einem Konzert auf dem Weihnachtsmarkt begleitet, dann sind Gottesdienste in aller Herrgottsfrühe und Abendandachten im Advent sein täglich Brot. Aber: Gerade die sogenannten Rorate-Gottesdienste, früh am Morgen im Kerzenschein, genießt er:

„Natürlich kommen die Rorate-Messen – und das ist auch mit etwas vom Schönsten, weil da wiederum dieses Emotionale spürbar wird. Ich hab auf jeden Fall das Rorate-Erlebnis, dass ich keinerlei Einführung gemacht hab in den Gottesdienst und das war ein unheimlich schönes Gefühl, es einmal nicht zu verklären, um was es geht, sondern einfach nur zu feiern; das Geschwätz einfach mal sein zu lassen.“

Vielleicht genießt er es, weil Stille kostbar ist und man sich mitten im Lärm des Alltags gut um stille Momente kümmern muss:

„Stille kommt nicht von alleine. Stille muss gesucht werden. Und braucht nicht nur Orte, sondern braucht auch Zeiten. Und diese Zeiten muss man ganz nüchtern suchen und die verlangen einem was ab.“

Teil II

„Stille braucht nicht nur Orte, sondern auch Zeiten“, sagt Andreas Kirchartz, der mit Anfang 30 nach Tübingen zurückgekehrt und aktuell in der Priesterausbildung tätig ist. Ich will wissen, was seine Zeiten und seine Orte sind, denn schließlich will auch der nobelste Ansatz seinen Platz im Alltag haben:

Na ja, ich sag immer: Morgens will noch keiner was von mir. Ich kann mir das nehmen und ich glaub auch an der Stelle tatsächlich, weil ich ja auch keine Familie hab; weil an der Stelle auch kein Kind schreit, weil an der Stelle auch kein Partner was von mir noch möchte, hab ich natürlich da auch ein riesen Privileg.“

Aber Privileg hin, familiäre Verpflichtungen her: Gerade im Advent und spätestens an Weihnachten spürt Andreas Kirchartz mehr als deutlich:

„… dass man Freude an Weihnachten haben kann und trotzdem einen inneren Schmerz hat, dass das nicht die eigene Familie ist.“

Freude und gleichzeitig Schmerz – ich glaube es ist diese Mischung, die Andreas Kirchartz für die Menschen feinfühlig werden lässt, die im Advent und an Weihnachten keine heile Welt haben.

„Wo natürlich Gedanken aufkommen, ist ganz, ganz klar, wenn es um Familien geht, wo man merkt, es geht auf Weihnachten zu und dann kommt alles auf den Tisch von… was man eben für Probleme miteinander hat: Dass man gar nicht gemeinsam Weihnachten feiern kann, dass man um Kinder, Ministranten oder andere weiß, die an Weihnachten switchen müssen zwischen Vater und Mutter oder zwischen einer Patchwork-Familie und der anderen und dass dann natürlich auch bei manchen der Blick auf Weihnachten ein sehr trauriger ist.“

Andreas Kirchartz hört es, wenn aus den scheinbar harmlosen Aussagen der Jugendlichen, mit denen er in der Gemeinde gearbeitet hat, das persönliche Elend durchbricht:

„Und es ist natürlich schon so, wenn ich dann mit den KJGlern teilweise gesprochen hab, wenn die dann so meinen: ‚Ähm, ja, können wir uns nicht gemeinsam treffen an Weihnachten? Dann kann ich meiner Familie entkommen.‘“

Ist manchmal Weihnachten so gesehen für manche vielleicht sogar die Hölle?

„Es ist natürlich ein sehr harter Begriff. Ich kann natürlich nur die Reaktionen dieser Leute wahrnehmen und da schon feststellen, das ist für manche schon jetzt einfach mit Negativgefühlen verbunden. Und dass das für den ein oder anderen empfunden wird wie die Hölle, ist durchaus möglich.“

Seine Eltern wird Andreas Kirchartz dieses Jahr an Weihnachten sogar besuchen können. Aber selbst wenn ihn Gottesdienste einmal nicht binden: Sein Elternhaus wird nicht ewig da sein. Wie also schaut Andreas Kirchartz auf die vielen Advents- und Weihnachtszeiten, die vor ihm liegen und sich möglicherweise einsamer anfühlen:

„Eigentlich gilt’s drum, im Hier und Jetzt sukzessive zu schauen, wie gestalt ich denn mein Leben und mit wem gestalte ich es denn auch. Es bringt ja nix, mir zu überlegen, mit wem ich in 20 Jahren Weihnachten feier – den kenn ich ja vielleicht noch gar nicht, mit wem ich da in 20 Jahren Weihnachten feier, gell? Und dementsprechend – ich glaub, wenn ich so weitermach, werd ich auch älter, ja, aber vielleicht nicht kauzig.“

Das klingt als Ansatz erfrischend einfach – fast ein wenig verrückt, aber:

„So ein bisschen verrückt zu sein so als Priester ist nicht die allerschlechteste Eigenschaft.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25543
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