SWR2 Zum Feiertag

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Reformation heißt Veränderung.

Ein Gespräch mit Reinhold Krebs vom Evangelischen Jugendwerk Württemberg

Rittberger-Klas: 31. Oktober 2017. 500 Jahre Thesenanschlag in Wittenberg. 500 Jahre Reformation. Ein ganzes Jahrzehnt lang hat sich die evangelische Kirche in Deutschland auf dieses denkwürdige Datum vorbereitet.
Bei allem notwendigen und sinnvollen Rückblick in die Geschichte – Reformation ist eigentlich ein auf Zukunft gerichtetes Geschehen. Und nach protestantischem Selbstverständnis hört sie nie auf: Ecclesia semper reformanda!
Deshalb spreche ich heute Morgen zum Reformationstag auch nicht mit einem Kirchenhistoriker, sondern mit jemandem, der von seinem Dienstauftrag her an der Zukunft der Kirche arbeitet: Mit Reinhold Krebs, Landesreferent beim Evangelischen Jugendwerk in Stuttgart. Herr Krebs – wie feiern Sie heute den Reformationstag?

Krebs: Ich werde ihn heute Abend in Aalen zusammen mit jungen Menschen feiern. An ungefähr tausend Orten in ganz Deutschland wird es eine sogenannte Churchnight geben, und ich freue mich sehr auf dieses junge und quirlige Team, das ich dort kenne. Und zusammen werden wir eine Churchnight gestalten.

Rittberger-Klas: Kreative Ideen, auf ungewöhnliche Weise den Reformationstag zu feiern, gerade durch die Churchnight, gibt es schon eine ganze Weile. Aber ich denke: Wenn wir heute Reformation feiern, muss es auch immer darum gehen, was heute in der Kirche zu reformieren wäre. Wo sehen Sie da den größten Bedarf – gerade auch wenn Sie an die jungen Leute denken, mit denen Sie arbeiten?

Krebs: Wir haben eine amerikanische Partnerorganisation, die hat den Satz geprägt: Es ist eine Sünde, Jugendliche zu langweilen – und eine doppelte Sünde, wenn es mit dem Evangelium geschieht. Also die Kernfrage ist: Wie wird Glauben, wie wird Evangelium, wie wird Kirche und Gemeinde wieder richtig spannend – und das ist war es ja vor 500 Jahren, zu Zeiten Luthers: Die Bibel dann selber in die Hand zu nehmen, auf Deutsch zu lesen, Lieder zu singen zu den Popsongs der damaligen Zeit, zu den Melodien… Und wie wird das heute wieder spannend? Wir merken in der Jugendarbeit, dass das durchaus gelingt, da wo junge Menschen Glauben erleben, vor allem auf Freizeiten, da wo Leben geteilt wird und von daher Reformbedarf: Kirche nicht so sehr als ein Programmangebot zu verstehen, sondern wirklich als gelebte Beziehung, als Beziehungsqualität. Partizipation und Teilnahme ist ein Schlüssel, damit junge Menschen sagen: Das ist meine Sache, das ist mein Ding.

Rittberger-Klas: Eine besondere Art von Reformbewegung ist von England aus zu uns geschwappt. Sie nennt sich Fresh Expressions – kurz FreshX. Sie, Herr Krebs, sind für die Württembergische Landeskirche und das Jugendwerk intensiv in diese Arbeit eingebunden. Was ist FreshX – und was versprechen Sie sich davon?

Krebs: Es ist nicht ganz einfach, das mit ein paar Sätzen zu erklären. Manchmal greife ich auf ein Bild aus der Biologie zurück: auf das menschliche Erbgut, die Doppelhelix. Und ich denke, wir haben so einen Erbstrang, Kirche so wie sie geworden ist, sonntags, mit Kirchengebäude und Gottesdienst. Aber für die Zukunft brauchen wir noch einen zweiten Strang und den sehe ich bei FreshX, also noch einmal Kirche in neuer Gestalt zu leben. Das können Jugendgemeinden sein, das kann eine Cafégemeinde sein, das kann eine angemietete Wohnung sein in einem sozialen Brennpunkt, das kann Tischgemeinschaft sein. Also Kirche noch einmal in neuer Gestalt zu leben, näher dran am Alltag der Menschen – darin sehe ich eigentlich den Zugewinn von FreshX.

Rittberger-Klas: Für mich klingt es so, als würde FreshX stark an der Struktur von arbeiten. Aber immer mit dem Ziel, Menschen die Möglichkeit zu geben, persönliche Erfahrungen mit dem Glauben noch einmal zu machen – oder neue Erfahrungen mit dem Glauben zu machen. Würden Sie denn sagen, das kommt dem nahe, was Luther für seine Zeit – unter den damaligen Bedingungen –  auch wollte?

Krebs: Ich sehe da in der Tat wirklich eine Parallele. Es gibt das bekannte Lutherzitat „dem Volk auf’s Maul schauen“ – und dass Luther dann eben die Bibel ins Deutsche übersetzt hat. Wir vergessen manchmal, dass er damit auch die Einheit, die Einheitssprache der Kirche, das Latein zur Disposition gestellt hat, was eigentlich revolutionär war. Aber er wollte näher an den Menschen dran sein, er wollte, dass Menschen das Evangelium in ihrer Sprache hören und erleben. Und ich glaube, dass wir heute in einer ähnlichen Herausforderung sind: Wir haben eine Einheitsform von Kirche, aber wir müssen wieder lernen – auch vom Neuen Testament her – Gemeinde zu leben in neuen Formen. Wir haben einen Versuch gemacht in einem Nagelstudio Kirche zu sein. Man sitzt da sehr still, hat eine halbe Stunde Zeit – ich kann da eigentlich nicht mitreden, aber ich habe es mir erzählen lassen – und man berührt sich wechselseitig und kommt ins Gespräch über’s Leben. Wie kann Gemeinde, wie kann Kirche dort Gestalt gewinnen? Für viele ist das beängstigend. Aber ich denke, so wie Luther das Evangelium in die Lebenswelt, in die Sprachwelt der Deutschen hineingebracht hat – so müssen wir heute auch die Form von Kirche in die Alltags- und Lebenswelt der Menschen hineinbringen.

Rittberger-Klas: Sie haben schon gesagt: Bei den neuen Formen, auch bei FreshX geht es nicht darum, jedem und jeder einen persönlichen Glaubens-Wohlfühl-Ort zu schaffen. Trotzdem denke ich: Es geht sehr stark auf das Persönliche, es geht sehr stark auf den persönlichen Glauben. Muss Reformation und Aufbruch in der Kirche nicht auch immer etwas Politisches, eine gesellschaftsverändernde Wirkung haben?

Krebs: Was wir jetzt auch von der englischen Bewegung noch einmal gelernt haben: Es geht ja letztlich um die Frage: An was mache ich fest, was Gemeinde und Kirche ist? Und die englische Bewegung redet von vier Beziehungsdimensionen, die gelebt werden: erstens eine lebendige Gottesbeziehung, klassische Spiritualität, Gebet, Bibel; zweitens eine tragfähige Gemeinschaft untereinander, ein Beziehungsnetzwerk – das eine wäre die „up“-Dimension, zu Gott hin, das andere die „in“-Dimension. Ich denke, das ist in vielen Gemeinden auch vorhanden, auch in Jugendgemeinden. Aber dann kommt eine dritte Dimension: Welchen Auftrag haben wir eigentlich von Gott her, welche Berufung, welche Sendung? Welchen Unterschied machen wir in dieser Welt. Und, viertens, was Protestanten dann meistens ein bisschen vergessen, was die katholischen Geschwister dann sofort als „Weltkirche“ bezeichnen – also dass wir nicht nur für uns einen schönen, frommen Ort machen, sondern dass wir Teil eines großen Ganzen sind, der Ökumene, des Reiches Gottes, der Weltkirche.

Rittberger-Klas: Es gibt ja durchaus Vorschläge für große Zukunftsthemen, die die Kirche im 21. Jahrhundert konsequent in den Mittelpunkt stellen sollte: Gerechtigkeit in der globalisierten Welt ist so etwas. Oder – letztlich eng damit verbunden – Verantwortung für die Schöpfung. Bewegt das die Jugendliche oder junge Erwachsene heute auch noch? Oder ist dafür in der Kirche heute mehr die Generation 60+ zuständig?

Krebs: Also „die“ Jugendlichen und „die“ jungen Erwachsenen gibt es natürlich so wenig wie „die“ Erwachsenen, es gibt immer eine ganze Bandbreite. Aber ja, das ist Thema, das erlebe ich auch, dieses Nachdenken in dieser Dimension – wir nennen es „out“ – was ist unsere Sendung, was ist unser Auftrag, welchen Unterschied will ich machen. Es gibt in England zum Beispiel auch „Forest Church“ als ein Teil der FreshX-Bewegung. Das ist so ähnlich wie Waldkindergarten – wenn Waldkindergarten geht, dann geht auch Waldkirche. Also das ganze Jahr über noch mal Umwelt zu erleben, auch Umweltschutz zu praktizieren und in dieser Schöpfungsdimension Gemeinde zu erproben.

Rittberger-Klas: Wir haben über große Reformprozesse gesprochen. Veränderung beginnt aber im Kleinen. Wenn ich morgen bei mir selbst oder in meiner Gemeinde an einem kleinen Punkt eine zukunftsweisende Veränderung anstoßen wollte – was würden Sie mir raten, was lohnt sich.

Krebs: Eben gerade kein Rezept, sondern Konzepte und Papiere zur Seite zu legen und noch mal das Hören einzuüben, das Hören auf Menschen, auch das Hören auf Gott. Wir sind immer wieder zurückgekommen zu Lukas 10: Wie macht das eigentlich Jesus? Er sagt zu seinen Jüngern: Lasst alles da, kommt als Fragende, als Bittende. Geht immer zu zweit los, nicht alleine – und dann klopft einfach an die Türen. Und manche werden euch ablehnen – schüttelt den Staub von euren Füßen – aber es gibt da draußen auch offene Türen, es gibt Menschen des Friedens, sagt Jesus. Ein sehr einfaches Konzept – aber es rechnet damit, dass Gott selbst Türen öffnet.

Rittberger-Klas: Ecclesia semper reformanda. Auf Latein klingt das immer gut und richtig. Aber eigentlich heißt das: Unsere Kirche kann nicht, und darf nicht dieselbe bleiben. Das wiederum ist für viele Menschen doch eher eine unangenehme Vorstellung, glaube ich. Haben Sie für sich einen Mutmach-Satz, der Ihnen hilft, trotz aller Veränderungen mit Mut in die Zukunft zu blicken?

Krebs: Ich komme da immer wieder zurück zum Vaterunser: Dein Reich komme! Ein englischer Theologe hat vor drei Wochen einen Satz gesagt, der bei mir hängen blieb: The kingdom of God is innovation on a cosmic scale, also: Das Reich Gottes ist eigentlich nichts anderes als Innovation im kosmischen Ausmaß. Das heißt aber: Innovation müsste eigentlich ein Kernthema von uns Christen sein, denn darum bitten wir ja im Vaterunser, wenn wir sagen: Dein Reich komme. Also: Sich wieder neu ins Vaterunser hinein zu beten – das hilft mir persönlich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25295
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