SWR2 Zum Feiertag

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Alexander Foitzik im Gespräch mit Dr. Barbara Henze, Theol. Fakultät der Uni Freiburg

Mit dem heutigen Fest „Allerheiligen“ gedenken wir der Gemeinschaft der Heiligen. Also all der Männer und Frauen, die oft auch unbequem und anstößig Zeugnis von Ihrem Christusglauben gegeben haben in dem was Sie gesagt haben und in dem was sie taten. Wenn wir aber an diese heiligen Frauen und Männer denken stellen wir uns zugleich in ihre Gemeinschaft, denn das Fest Allerheiligen erinnert uns daran, dass wir alle, alle Getauften und Gefirmten zur Heiligkeit berufen sind. Über dieses besondere Fest und seine Botschaft spreche ich heute mit Dr. Barbara Henze. Sie lehrt Frömmigkeitsgeschichte und kirchliche Landesgeschichte an der theologischen Fakultät in Freiburg.

Frau Dr. Henze, was bedeutet für Sie dieses Fest „Allerheiligen“? Ist das für Sie eher eine schöne Tradition im Kirchenjahr, die es mit Blick auf eine durchaus wertvolle Geschichte zu pflegen gilt, oder hat dieses Fest Allerheiligen für Sie einen besonderen aktuellen Bezug? Eine besondere Botschaft für uns heute?

Allerheiligen – ein Stellvertreterfest

Das Fest „ Allerheiligen“ ist tatsächlich Beides. Wir erinnern uns daran, dass früher an diesem Fest all derer gedacht wurde, für die man Name und Todesdatum nicht wusste und derer man dennoch gedenken wollte. Deswegen ist das Fest Allerheiligen so etwas wie ein Stellvertreterfest.

Und dieses Prinzip Stellvertretung oder „Stehen für“ finde ich auch für heute sehr aktuell, weil man damit nicht nur an die Gemeinschaft denkt zu der man auch gehören möchte, wie Sie im Eingang gesagt haben, sondern man kann sich auch vorstellen, dass die Heiligen so etwas wie stellvertretend das Menschsein gelebt haben, das wir selbst auch leben möchten. Also auch ein Vorbild für mich selbst.

Gab es denn Heilige, die man in diesem Gedanken vergessen hat, wenn Sie jetzt zurück auf die Kirchengeschichte schauen?

Heilige mit und ohne Namen

In der Anfangszeit wurden die als Heilige gesehen, die sich in besonderer Weise in ihrem Leben der Verbundenheit mit Jesus Christus bewusst waren, und das waren die Märtyrer. In der Anfangszeit sind viele umgebracht worden um ihres Glaubens Willen. Von denen die Überlieferung weder Name noch Todesdatum überliefert hatte. Und diese namenlosen Märtyrer, die werden an Allerheiligen oder wurden seit der Anfangszeit der Kirche an Allerheiligen gefeiert.

Für die mit Namen bekannten Märtyrer hatte man immer einen festen Platz im Kirchenkalender. An die heilige Barbara denkt man am 4. Dezember. Die Person ist zwar fiktiv aber man hatte für sie einen festen Platz im Kalender.

Jetzt haben Sie die Hl. Barbara ausdrücklich erwähnt. Aber wie ist es mit den heiligen Frauen in der Kirchengeschichte gewesen? Wurden nicht ganz besonders die heiligen Frauen immer leicht vergessen?

Frauen wurden nicht vergessen

Man hat tatsächlich eine Statistik gemacht. Wer war wann heilig oder wurde als heilig angesehen? Jetzt könnte man als erstes denken, ja werden nicht die Frauen  immer vergessen weil sie ja heute vergessen werden.

Es war in der Tat so, dass zum Beispiel in der Zeit des Hochmittelalters besonders viele Frauen gewürdigt wurden. Nicht nur die Hl. Klara u. die Hl. Elisabeth. Stellvertretung heißt ja, zu bestimmten Zeiten ist Heiligkeit etwas, das genau für diese Zeit wichtig ist. So gab es auch Zeiten, wo exemplarisch Frauen diese Herrlichkeit gelebt haben, und das war die Zeit der Armutsbewegung, weil die Lebensweise in der Zeit der Armutsbewegung bedeutete: Ich nehme an Jesus Christus Maß.
Und man hatte sich irgendwie vorgestellt, dass dieses Maßnehmen an Jesus Christus besonderes Einfühlungsvermögen voraussetzt. Und da hatte man gedacht, das machen Frauen in besonderer Weise.

Welches Bild, welche Metapher passt dann gerade jetzt vor dem von Ihnen ausgeführten Hintergrund für Sie am besten? Wenn Sie in ein bis zwei Sätzen beschreiben sollen, was eigentlich Heilige für Sie sind…

Heilige als Vorbild in ihrem Lebensraum

Es muss was damit zu tun haben, dass diese Menschen einerseits die Kraft spüren, die von Gott kommt, bestimmte Dinge auszuhalten, die man sonst nicht aushalten würde.

Es muss andererseits etwas damit zu tun haben, dass sie in sich schauen und denken was kann ich. Was ist in meinem jeweiligen Lebensraum möglich? Die sind ja nicht jenseits ihres Lebensraums gegangen, sondern die haben ja ihre Möglichkeiten genutzt. Deswegen gibt es auch unbekannte Heilige, oder deswegen gibt es auch Leute, die gar keine großartigen Dinge getan haben, sondern einfach versucht haben, in die Not ihrer Zeit zu schauen und zu sagen: hier läuft etwas schief, hier muss etwas passieren.

Und da finde ich dann sehr interessant, dass die Zahl der offiziell von der kath. Kirche Heiliggesprochenen seit der Zeit von Papst Johannes Paul II, also seit 1978, explodiert ist. Weil dann der Papst gedacht hat, es kann nicht sein, dass man in Lateinamerika, in Ozeanien, in Südafrika als Heilige und Namenspatronen immer nur Leute aus Europa hat als Vorbild ihres Lebens. Sondern das müssen Leute sein, die in ihrem konkreten Lebensumfeld versucht haben ihr Leben zu leben. Die hat er dann heilig gesprochen.

Gestern haben wir den Reformationstag gefeiert. 2017 jährt er sich ja zum 500. Mal. Ist das Fest Allerheiligen ein sehr katholisches Fest?

Irrwege der Heiligenverehrung

Dieses Fest Allerheiligen stand damals vor 500 Jahren für eine fehlgeleitete katholische Frömmigkeit. Deswegen hat nicht ohne Sinn am Vorabend dieses Festes Allerheiligen Martin Luther seine Thesen veröffentlicht. Weil er daran erkennen konnte, was schief läuft. Dass man nämlich Heiligkeit den Kräften des Menschen zuspricht und nicht sagt: dieser Mensch muss ja zuvor erst mal in die Beziehung zu Gott getreten sein.  Gott muss ihm ja seinen Auftrag geben. Der wirkt ja nicht nur so. Ein Heiliger hat seine Kräfte von Gott.
Den zweiten Fehler, den Luther benennen konnte war: Ja verdränge ich damit in Wahrheit nicht Jesus Christus, und ist das was die Menschen an Heiligenverehrung tun nicht rein äußerlich und unbiblisch.
Also er kann an dem Fest Allerheiligen genau seine Kritikpunkte gegenüber der katholischen Kirche artikulieren. Und jetzt, da haben Sie recht, muss man sich fragen, hat sich daran etwas in den 500 Jahren verändert? Ich finde schon. Wir haben gelernt, dass es damals ein Irrweg war, die Heiligen so zu verehren, dass es nicht möglich ist an die Stelle von Jesus Christus auf einmal Menschen zu verehren oder sogar anzubeten, was man uns damals vorgeworfen hat. Das würde eigentlich heute niemand mehr tun.

Das heißt, dann trennt das Verständnis von Heiligkeit und von Heiligen heute nicht mehr die Konfessionen?

Trennend ist nur noch das Heiligsprechungsverfahren

Das Verständnis von Heiligkeit trennt nicht. Was trennt ist, dass man in der römisch katholischen Kirche dieses Heiligsprechungsverfahren hat, das man in anderen christlichen Kirchen nicht kennt.
Aber es gibt, wenn man im Internet schauen würde, gibt es einen ökumenischen Heiligenkalender. Da werden alle die Personen genannt, die in der weltweiten Ökumene, egal in welcher Konfession, als besonders vorbildlich gelten. Die haben aber nicht den Heiligsprechungsprozess durchlaufen.

Welchen Heiligen, welche Heilige würden Sie denn gerne noch in diesen ökumenischen Heiligenkalender aufnehmen?

Frère Roger Schütz und Oscar Romero in den Heiligenkalender?

Eine Person, die sicher von vielen christlichen Konfessionen geschätzt wird ist Roger Schütz von Taizé. Wofür steht dieser Mann? Roger Schütz steht, selbst reformierter Christ und nicht Katholik, steht für: Ich habe ein weites Herz für Gebetsformen. Ich weiß, dass ich Gebet brauche, um arbeiten und leben zu können. Und sein Buch, sein sehr populäres Buch, heißt nicht umsonst „Kampf und Kontemplation“. Ich kann also nicht meinen täglichen Stress, meine tägliche Arbeit, die Ansprüche, die an mich gestellt werden, leben ohne beten. Dafür hat er seine Gebetsgemeinschaft gegründet. Andererseits steht Roger Schütz auch für Versuche, mit Menschengruppen in Kontakt zu kommen, die in der Kirche ein bisschen unterbelichtet waren, z.B. die Jugend. Dass er dieser Gruppe einen Raum widmet und sagt: Mit der Jugend muss man sprechen. Das ist die Frömmigkeit und das christliche Leben der Zukunft. Also würde ich sagen Roger Schütz steht für bestimmte Dinge.
Andere Personen stehen für anderes: Oscar Romero von San Salvador – der steht für die Botschaft, dass man schauen muss, was ist das Unrecht, das meinen Menschen, für die ich Verantwortung als Bischof tragen muss, passiert, und woher kommt dieses Unrecht. Heute wird er geschätzt. Seine Leute in San Salvador haben ihn geschätzt, dass er die USA angeprangert hat und gesagt hat: warum schickt ihr eure Waffen in unser Land? Damit unsere Leute damit erschossen werden – das kann nicht sein. Also für eine mutige Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten der jeweiligen Zeit.

Sie haben jetzt mit dem Bezug zu Bischof Romero noch einmal einen ganz aktuellen Bezug hergestellt zu dem heutigen Fest Allerheiligen. Herzlichen Dank Frau Dr. Henze von der theologischen Fakultät Freiburg.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25221
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