SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Braucht der Mensch heutzutage noch Segen? Als Pfarrer, der den Segen Gottes anderen zuspricht, beschäftigt mich diese Frage. Oft kommt es mir so vor, dass wir alles selbst in der Hand haben. Für unsere körperliche Gesundheit haben wir Ärzte und für die seelische den Psychiater. Wenn uns etwas fehlt, greifen wir auf Versicherungen zurück. Bevor alle Stricke reißen, gibt es Sozialhilfe vom Staat. Fast alles scheint gut organisiert zu sein, so dass es selten das ganz große Unglück gibt. Oder täusche ich mich da? Und es gibt doch in jedem Menschenleben hin und wieder eine Katastrophe; eine, bei der alle Versicherungen nichts nützen?

Die Nachrichten sind voll von solchen Unglücksfällen. Nicht wenige Menschen kommen zu mir als Seelsorger, weil sie damit konfrontiert sind und nicht gut fertig werden: Der Arzt hat Krebs bei ihnen diagnostiziert. Der Partner hat sie verlassen. Der Tod eines Freundes wirft sie völlig aus der Bahn. Das sind alles Ereignisse, die eben gar nicht selten vorkommen. Wir versuchen bloß, so gut es geht, sie aus unseren Gedanken fern zu halten. Bis sie uns doch erreichen. Dann aber häufig mit doppelter Wucht. Als Pfarrer habe ich in Gesprächen nach Schicksalsschlägen gemerkt, wie meinem Gegenüber das den Boden unter den Füßen wegziehen kann. Und wie sehr der Erschütterte sich gleichzeitig nach einem sicheren Halt sehnt. Aber wo wir eigene Sicherungen schaffen, reicht das meistens nicht. Ob der Pfarrer da Hilfe weiß? Er ist doch ein Gottesmann, einer, der mit höheren Mächten vertraut ist und vielleicht ein gutes Wort einlegen kann. Manchmal bin ich mir dabei vorgekommen, wie ein lebender religiöser Talisman, der fast magischen Erwartungen entsprechen sollte. Und im selben Augenblick hatte ich das Gefühl, dass die Leute bei mir genau richtig sind. Wo hätten sie auch hingehen sollen, sofern sie noch einen Bezug zur Kirche und zu Glauben an Gott haben. Sie suchen ja genau nach dem, was die Kirche anzubieten hat, wenn sie nicht geizig damit umgeht: nach Segen. Sie suchen nach einer Stabilität, die sie anderswo nicht bekommen. Sie wollen spüren, dass Gott für sie da ist, dass er sie trägt und ihr Leben beschützt, auch wenn sie nur noch vage an ihn glauben. Genau das ist für mich Segen.

Zwischen den Zeilen solcher Gespräche habe ich dann gemerkt, dass ich das ausdrücklich sagen muss. Nicht immer, aber hin und wieder habe ich dann gefragt, ob ich ihnen den Segen Gottes zusprechen darf. Mit schlichten Worten, auch still, mit einem Kreuzzeichen. Wenn ich mich recht erinnere, haben das alle dankbar angenommen. Und hinterher habe ich gewusst, dass das die tiefe Berufung des Pfarrers ist: Menschen zu segnen. Ihnen zu sagen, dass Gott bei ihnen ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25179
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