SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Ich habe den Eindruck, dass sich in mir viel Dunkles angesammelt hat. Reste, die übrig geblieben sind von dem, was Menschen einander antun. Davon hat es in den letzten Monaten so viel gegeben. Fast täglich ist in den Nachrichten davon die Rede. Viel häufiger als von den guten Ereignissen, die es ja auch gibt; die es aber schwer haben dagegen anzukommen. Statt dessen: Anschläge, Attentate, Kinder, die sterben. Wenn ich jetzt daran denke, steigt diese dunkle Brühe aus Hass und Wahnsinn wieder nach oben. Ich sehe die Bilder vor meinen Augen, höre die Nachrichten. Lieber will ich das alles vergessen. Aber wie? Ich weiß, dass es real ist: Menschen können grausam sein und unvorstellbar böse. Davon möchte ich aber nicht ständig hören. Ich will nicht, dass dieser Eindruck sich in mir verhärtet. Ich will nicht, dass er die Überhand bekommt, weil es ja auch so viel Schönes und Gutes gibt.

Umso mehr muss ich die guten Erfahrungen, die ich mache, in mir stärken, mich bewusst immer wieder an sie erinnern. Ein Arzt hat mir diesen Ratschlag sogar einmal ausdrücklich erteilt, als mir Ängste zu schaffen gemacht haben. Und da gab es tatsächlich ein Erlebnis, das mir ungeheuer gut getan hat, weil es im Laufe der Zeit so stark geworden ist wie die Angst: Ein Freund, der mich in den Arm genommen und festgehalten hat, als ich ihm erzählt habe, was mich traurig macht. Das war damals unerwartet und heilsam und schön. Und ist für mich ein Urbild gegen das geworden, was mir das Leben schwer macht.

Wenn ich mich jetzt auf die Suche mache, um der Dunkelheit etwas entgegen zu halten, die Menschen produzieren, finde ich gottlob doch einiges in meiner Erinnerung.

Der Wirt des Lokals zum Beispiel, in das ich gerne zum Essen gehe, hat inzwischen eine wunderbar bunte Mischung aus Mitarbeitern in seinem Team. Sie stammen aus Kuba und Afghanistan, aus Italien und Japan, aus Kroatien und Deutschland. Es ist so schön zu sehen, wie sie zusammen arbeiten, wie die Erfahrenen die Anfänger unter ihre Fittiche nehmen und wie hin und wieder der Chef einem von ihnen väterlich den Arm um die Schulter legt.

Ausgesprochen wohltuend ist für mich auch, dass ich gerne nach Hause komme. Weil ich mich mit meinen Nachbarn gut verstehe. Die Alterspanne reicht von Ungeboren bis Neunundneunzig. Wir halten uns gegenseitig auf dem laufenden, treffen uns am Gartenzaun, achten aufeinander. Der berufstätige junge Vater mit den bald vier Kindern packt tatkräftig an, überall wo’s was handwerklich zu tun gibt. Wir laden uns zum Essen ein und freuen uns an dem, was die anderen unternehmen.

Menschen können gut sein. Das zu sehen und zu wissen, drängt das Dunkle zurück, das leider oft vor mein Auge gespült wird. Und das tut mir sehr gut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25178
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