SWR3 Gedanken

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In unserem Nachbarort gibt es einen großen Gemüsehof. Da werden Salat und Gemüse in rauen Mengen angebaut. Für unser letztes Familienfest habe ich da kiloweise Salat bestellt.

Als ich den Salat im Gemüsehof abgeholt habe, war das eine seltsame Erfahrung.

Erstmal muss ich an einem riesigen Tor klingeln und dann muss ich noch ziemlich lange warten. Während ich so vor dem großen Tor rumstehe, tauchen dahinter immer mehr Saisonarbeiterinnen auf. Es ist halb neun morgens und die meisten Frauen sehen schon richtig fertig aus. Sie quetschen sich alle auf zwei, drei alte Bierbänke. Ein paar packen ihre ausgebeulten Thermoskannen aus, manche ein Vesperbrot, aber es unterhält sich niemand. Erst fühle ich mich unwohl so direkt daneben. Aber mit der Zeit bekomme ich Mitleid mit den Frauen. Die schuften hier ohne Ende, vielleicht für ziemlich wenig Geld, denke ich. Sie bekommen bestimmt nicht mal den Mindestlohn… ob die überhaupt ein richtiges Wochenende haben? Und das nur damit ich hier meinen Salat günstig kaufen kann. Regional, ok, aber was ist mit den Arbeitsbedingungen?

Eine der Arbeiterinnen beobachtet mich. Sie kommt zu mir ans Tor, lacht mich an und sagt: „Chefin gute Frau. Du warten.“ In dem Moment kommt sie schon, die Chefin. Sie wirft erstmal einen lustigen Spruch in die Runde, in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Alle lachen. Dann kommt sie in meine Richtung und klopft auf dem Weg noch ein paar der Frauen liebevoll auf die Schultern. Sie öffnet das Tor ein Stück und gibt mir meinen Salat. Alles wie bestellt, hier ist die Rechnung. Danke. Alles klar.

Gut, dass ich so lange warten musste. Sonst hätte ich nur meinem ersten Eindruck getraut und von der Situation auf dem Gemüsehof nur eine Seite mitbekommen. Manchmal kann ein zweiter Blick auf die Sache richtig erhellend sein!

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