SWR1 Begegnungen

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Monsignore Klaus MeyerAnnette Bassler trifft Monsignore Klaus Meyer, ehem. Pfarrer an der St. Stephanskirche zu Mainz und Freund von Marc Chagall

Große Freundschaft

Jeden Sonntag steht er im Altarraum der Mainzer Stephanskirche. Eingetaucht in tiefblaues Licht zeichnet er mit großer Geste die Kirchenfenster von Marc Chagall nach. Erzählt ihre Geschichte, predigt darüber und betet mit den Besuchern. Er sei nicht mehr so blutjung, scherzt er. Mit seinen 94 Jahren.  

Ich werde oft gefragt, dass ich das immer noch machen kann, seit 1978 und da sage ich, das ist das Geheimnis einmal der Bibel und ganz großer Kunst, dass man ihrer niemals müde wird, sondern dass sie einen jedes Mal neu fasziniert.

Und einen heilsam belebt– wie man an Monsignore Mayer sehen kann. Die Kirchenfenster von Marc Chagall sind ein Muss, wenn man nach Mainz kommt. Dass es sie in der Stephanskirche gibt, das hat mit der Freundschaft zwischen Marc Chagall und dem Monsignore zu tun. Klaus Mayer war kurz nach dem Krieg Pfarrer dieser Kirche. Die nur notdürftig restauriert war mit schrecklich grauen Kirchenfenstern. Und er hatte die Idee mit dem bunten Glas.

Dann bekam ich einen Schreck! Denn ich war mir bewusst, was das bedeutet, in ein solches Gotteshaus Buntverglasung einzubringen, die ja dann auch, so Gott will, Jahrhunderte drin bleibt. Wenn es also schief geht! Und dann, meine ganze Lebensgeschichte ist gespickt mit Fügungen.

Eine der wichtigsten war: er bekam den Auftrag, den damals 86 jährigen Marc Chagall um die Gestaltung der Kirchenfenster zu bitten. Eine weitere Fügung: Die Ehefrau von Chagall konnte gut deutsch sprechen und sie hat vermittelt. Sodass Marc Chagall den damals einfachen Gemeindepfarrer in seinem Haus in Frankreich empfangen hat.

Er nahm mich an der Hand. Da war die Couch und der Couch gegenüber war ein Bänkchen ohne Lehne und an den Schmalseiten standen zwei große Ohrensessel. In dem einen, das war natürlich sein Platz. Und dann hat er keine Ruhe gehabt bis ich in seinem Ohrensessel Platz nehme, 36 Jahre jünger als er … Und er hat sich auf das Bänkchen ohne Rückenlehne gesetzt. Da ist mir blitzartig klar geworden, welche Persönlichkeit er ist.

Weil er Jude war, musste Marc Chagall oft fliehen. Erst aus Russland nach Frankreich und dann nach Amerika. Immer ist er grade mal einer Deportation ins KZ entkommen. Deshalb war es schwierig für Klaus Mayer.

Das hat Jahre gedauert. Er wollte an sich nach dem Krieg nichts mehr für Deutschland machen. Verständlich! Dann hat es der liebe Gott gefügt, dass also 1976 im Sommer, dass mir Marc und Vava Chagall ihre Freundschaft schenkten.

Weil die beiden gesehen haben: dieser deutsche Priester ist ein Seelenverwandter- in seiner Liebe für die Bibel und für die Kunst. Außerdem war Klaus Mayer Halbjude und überlebte wie Marc Chagall nur durch ein Wunder. Wie die wundersame Geschichte weitergeht, darum geht’s gleich nach dem nächsten Titel.

 Heilsame Kunst

Seit fast 40 Jahren steht Monsignore Klaus Mayer mindestens einmal in der Woche in der Mainzer Stephanskirche. Hellwach noch immer, mit seinen 94 Jahren hält er auch Gottesdienste. Als er mir von seiner Freundschaft mit Marc Chagall erzählt hat, war mir, als würde ich eintauchen in ein wichtiges Kapitel unserer Geschichte. Marc Chagall, der berühmte Maler, auf einmal ganz nah.

Meditation mit Monsignore Klaus Meyer Er war ja auch sehr angetan, wie das erste Fenster da war und ich sofort mit Meditation begonnen habe, war er sehr interessiert, wer kommt da, wie viele kommen und so weiter. Das hat er sich immer gewünscht, dass die Menschen zu seiner Kunst hingeführt werden.

Da war Chagall schon weit über 90. Und Klaus Mayer hat viele Jahre auf seine Zusage gewartet. Und jetzt arbeiten sie einander zu, der jüdische Künstler und der katholische Priester. Und tun es bis heute.
Weil beide wollen, dass wir uns mit der Bibel und der Kunst beschäftigen. Wie kam es dazu? Klaus Mayer ist wie Chagall jüdischer Abstammung. Sein Großvater war viele Jahre Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Mainz. Großvater, Vater und Bruder sind vor den Nazis nach Argentinien emigriert. Klaus blieb mit der katholischen Mutter in Deutschland, wurde katholisch. Trotzdem haben die Nazis und deren Mitläufer ihn als Halbjude schikaniert. Seine Mutter hat ihn mehrmals vor der Deportation ins KZ bewahrt.

Die ganzen Erlebnisse der damaligen Zeit, haben mich erkennen lassen, dass nicht nur aus unseren Städten Ruinen geworden sind, sondern, dass noch viel größere Ruinen in den Menschen entstanden sind. Das hat mich dann schon mit motiviert, nach dem Krieg ins Priesterseminar einzutreten.

Die Begeisterung für die Bibel, die Klaus Mayer mit Marc Chagall gemeinsam hatte, war das verbindende Element. Und ein absolutes gegenseitiges Vertrauen.

Ich konnte Marc Chagall sagen: Lieber Herr Chagall, malen Sie aus Ihrer tiefen Gläubigkeit, das an biblischer Botschaft, was sie für die Menschen in unseren Tagen am Wichtigsten halten. Er war also völlig frei. Und kein Fachtheologe hätte ihm das Konzept sagen können, wie er es geschaut hat. Das sind die Mystiker.

Und ich glaube, die brauchen wir heute mehr denn je. Menschen, in deren Nähe man spürt, dass etwas Heilsames passiert. Durch deren Worte und Bilder sich der Himmel öffnet. Das habe ich gespürt, als ich mit Klaus Mayer unter den tiefblauen Kirchenfenstern von Marc Chagall stand.

Schon 1979, nachdem die ersten drei Fenster da waren, haben Psychiater aus Frankfurt ihre Patienten geschickt, weil sie sich von den Fenstern eine therapeutische Wirkung versprochen haben. Einmal, die unwahrscheinliche Ruhe, die durch das Blau ausgeht und die Lebensfreude. Einer hat gesagt: “Herr Pfarrer, wenn man seinen Glauben verloren hat, hier kann man ihn wiederfinden.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24797
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