SWR2 Wort zum Tag

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„Ich weigere mich zu hassen!“ sagt Daoud Nassar. Vor ein paar Wochen bin ich ihm begegnet. Daoud Nassar ist palästinensischer Christ und lebt in der Nähe von Bethlehem. Dort ist auch sein Projekt „Tent of Nations“, Zelt der Völker, angesiedelt. Menschen aus vielen Ländern, mit unterschiedlichen Religionen und aus verschiedenen Kulturen begegnen sich auf seinem Grundstück. Das „Zelt der Völker“ macht direkte Kontakte möglich. Die Besucher spüren: „Die haben ja dieselben Probleme. Die hören dieselbe Musik. Lesen dieselben Bücher.“ Tent of Nations hilft dabei, dass Menschen sich verstehen, deren Leben ganz anders ist als das eigene.

Daoud Nassar kommt in unser Hotel. Für unseren Bus war der Weg zu ihm nicht mehr frei. Immer wieder muss Daoud Nassar mit solchen Nadelstichen der israelischen Siedler in seiner Nachbarschaft leben. Indem man ihn einschüchtert. Indem seine Ernte zerstört wird. 1916 hatte sein Großvater dieses Stück Boden gekauft. Zum Glück ist dieser Kauf gut dokumentiert. Die Siedler versuchen immer wieder, seine Besitzrechte anzweifeln.

Wie er das aushält, immer unter Druck zu stehen und dabei doch ein freundlicher Christenmensch zu bleiben, wird er gefragt. Seine Antwort: „Ich weigere mich, zu hassen.“

Hass ist eine der wesentlichen Ursachen vieler Konflikte, auch der vielschichtigen Konflikte im Nahen Osten. Wer sich diesem Hass verweigert, streut Sand in das Getriebe routinierter Versuche, einen Konflikt am Leben zu erhalten. „Ich weigere mich zu hassen!“ Da schwingt etwas mit von einem der Kernsätze der Bergpredigt Jesu. „Liebet eure Feinde!“ (Matthäus 5,44) Daud Nassar versucht, diesen Satz konkret zu leben. Er entzieht dem Hass seine Grundlage. „Ich weigere mich zu hassen!“ Das klingt etwas pragmatischer, etwas konkreter als die Aufforderung, seine Feinde zu lieben. So, denke ich, könnte das auch in meinem Leben gehen. Indem ich Menschen zusammenbringe, die ganz unterschiedlich denken. In einem Verein. Oder in einer Kirchengemeinde. Indem ich mich selber auf Menschen einlasse, die ganz anders sind als ich.

Leicht ist das nicht. Darum hat Daoud Nassar gleich noch einen Satz hinzugefügt: „Ich will nicht alles auf einmal ändern. Sondern nehme mir nur den nächsten praktischen Schritt vor.“ Das bewahrt vor Enttäuschung. Und macht doch kleine Veränderungen zum Guten möglich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24740
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