SWR2 Wort zum Tag

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Wie gelingt es, dass jeder Mensch auf der Erde würdig leben kann, ohne dass wir den Planeten zerstören? Das sei  die zentralste Frage der Gegenwart, meinte jüngst  Horst Köhler, der ehemalige Bundespräsident. Wie gelingt es, die Güter der Erde so zu verteilen, dass  es die elende Ungleichheit im Elementarsten nicht mehr gibt? Und: wann hört der Raubbau auf, mit dem die Zukunft des Globus auf dem Spiel steht?  Genau für solch fundamentale Lebens-, ja Überlebensfragen  ist das Vaterunser eine kostbare Orientierungshilfe. Schon  mit der Anrede „Abba, Vater“ gerät alles unter ein verheißungsvolles Vorzeichen.  Da kommt ein unbedingtes Vertrauen ins Spiel, da werden die aktuellen Nöte und Herausforderungen adressierbar, sie werden ins Gebet genommen. 

Und dann die Reihenfolge der Bitten. Nicht die Not der Menschen steht zuerst im Mittelpunkt, das tägliche Brot, Schuld und Vergebung! Nein, betend hat der Christenmensch nur Eines im Sinn: Dass Gott Gott ist, dass er das Sagen hat;  sein Wirken möge unser Wirken bestimmen, seine Maßstäbe mögen uns Orientierung und Geländer sein. Also: „Vater, dein Reich komme, dein Wille geschehe, dein Name werde geheiligt“. So wie sich die Erde um die Sonne dreht, so soll sich menschliches Leben und Wirtschaften um Gott drehen. Je mehr wir uns allein um ihn kümmern, desto freier und phantasiereicher können  wir sehen, was nottut, und anpacken, was zu verändern ist. Das Vaterunser befreit davon , ständig um das goldene Kalb des Ego zu tanzen oder uns mit noch so guten Absichten zu übernehmen. „Suchet zuerst das Reich, die Weltherrschaft Gottes, und alles andere wird euch wie von selbst einfallen“, heißt es in der Bergpredigt, in die Matthäus auch das Vaterunser  hineinkomponiert hat. Das ist typisch Jesus, das ist typisch christlich. Gott an erster Stelle und sonst niemand. 

Aber wie viele haben bei der Bitte, dass Gottes Wille geschehe, nur Angst, entmündigt oder bevormundet zu werden. Autonom wie wir sind, wollen wir uns nicht einem anderen Willen beugen. Fatalerweise wird meistens ein Konkurrenzverhältnis zwischen Gott und Welt vorausgesetzt: Wenn der Mensch seiner Freiheit folge, gerate er in Konflikt mit Gott – als wäre dieser ein Konkurrent des Menschen. Aber das Gegenteil ist ja der Fall: Ausdrücklich richtet sich die Bitte, dass sein Wille geschehe, an jenen Gott, der mit „Abba“, Vater angesprochen wird, Inbegriff der  unbegrenzten Güte. Also: „es geschehe dein Wohlwollen“, gerade durch mich.

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24642
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