SWR2 Zum Feiertag

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Karoline Rittberger-Klas im Gespräch mit Stadtdekan Monsignore Dr. Christian Hermes, Stuttgart

Heute ist Fronleichnam. Katholische Christen begehen diesen Tag mit Gottesdiensten und Prozessionen. Die Mehrheit der Menschen in Baden-Württemberg jedoch weiß wenig oder nichts über die religiöse Tradition von Fronleichnam – und freut sich trotzdem über den gesetzlichen Feiertag. Ich spreche heute mit Monsignore Dr. Christian Hermes. Er ist Katholischer Stadtdekan in Stuttgart – dort gehört etwa ein Viertel der Bevölkerung der Katholischen Kirche an.
Monsignore Hermes, halten Sie es für zeitgemäß, dass der Staat christliche Feste zu gesetzlichen Feiertagen macht, die nur ein Teil der Bevölkerung kennt – und nur eine kleine Minderheit noch wirklich kirchlich feiert?

Es ist ja nicht so, dass nach unserer Verfassung der Staat Feiertage kreiert und Kirchenfeste zu Feiertagen macht, sondern in der Verfassung – übrigens seit der Weimarer Reichsverfassung, seit fast 100 Jahren – steht da drin: der Staat schützt die Feiertage. Und das ist ja auch das Grundverständnis unseres Staates, dass der Staat die Kultur, wie sie sich entwickelt, die Feste, die den Menschen wichtig sind, schützt. Und das sind eben, entsprechend der christlichen Tradition unseres Landes, vornehmlich christliche Feiertage. Aber interessant ist, dass schon damals vor hundert Jahren in der Verfassung von Weimar, wo ja auch schon ein großer Teil der Bevölkerung nicht mehr so eng christlich gebunden war, man auch das Thema „Arbeitsruhe“ eingebracht hat. Die Feiertage sind geschützt als „Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“ und beides sind wichtige Werte, die auch heute noch für viele Menschen wichtig sind.

Der Wirtschaftsleistung eines Landes tun so viele Feiertage ja auf den ersten Blick nicht gut. Aber würden Sie sagen, das Gemeinwesen profitiert auch davon, dass der Staat den Menschen ermöglicht, diese Tage zur Ruhe und zur Erhebung zu haben und ihre Religion auch auf diese Weise auszuüben?

Also, ich habe manchmal solche Diskussionen auch mit Wirtschaftsvertretern über Sonntagsöffnung und Feiertagsöffnung und ich muss sagen, ich finde das unerträglich, diese Durchökonomisierung unserer Wirklichkeit, dass alles dem Diktat der Ökonomie unterworfen wird. Wie der frühere Verfassungsrechtler Böckenförde vor ein paar Jahren kritisiert hat: Es wird alles, unsere Beziehungen, unser Leben, unsere Freizeit – alles wird ökonomisch betrachtet. Grundbestandteil unserer abendländisch-christlichen Tradition, auch unseres Menschenbildes der Verfassung, ist aber, dass der Mensch eben keinen Wert, sondern eine Würde hat. Und ich halte das für absolut kurzsichtig und letztlich auch für das Zeugnis eines erbärmlichen Menschenbildes, wenn man meint, wenn man den Menschen wie eine Zitrone immer weiter auspresst und ausdrückt, man könne immer noch die Effizienz ein wenig steigern. Ich glaube, dass das völlig falsch ist. Unser Land lebt von seiner Kreativität, unser wichtigster Rohstoff, wie die Wirtschaftswissenschaftler uns immer wieder sagen, sind die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Wenn sie Menschen nur noch auspressen und ihnen keine Muße lassen – und genau das meinen ja freie Tage – dann hören sie auf, kreativ zu sein. Die können dann vielleicht arbeiten und vor sich hinwursteln, aber die erfinden nichts mehr. Kreativität braucht Freiheit und braucht Freizeit.

Das heißt, es hat auch einen Wert für die Wirtschaftsleistung des Landes, letztlich…

Ja, das versuche ich Wirtschaftsleute immer so zu erklären -und das weiß auch jeder gute Unternehmer.

 Feiertage sind vielleicht noch ein eher unkompliziertes Thema im Verhältnis von Staat und Kirche. Über einen freien Tag beschwert sich in der Regel kaum jemand, auch wenn er nicht religiös ist….

 Ja, habe ich noch nicht gehört… Selbst die Piraten – falls sich jemand noch an diese Partei erinnert – laden ja immer zum öffentlichen Tanzen und „Zappeln“ ein am Karfreitag, wo ich dann aber auch immer sage: Ja gut, dann schafft den Karfreitag ab und geht arbeiten an diesem Tag, wenn euch das Tanzverbot und der Charakter des christlichen Karfreitags stört. Davon möchte dann aber keiner etwas hören.

Ja, wie gesagt, freie Tage sind immer beliebt – schwieriger ist es ja mit Regelungen, die als Privilegien der Kirchen empfunden werden, zum Beispiel die finanziellen Leistungen des Staates an die Kirchen, die auf die Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts zurückgehen, oder auch der Religionsunterricht an den staatlichen Schulen… Da stellt sich bei vielen schon die Frage: Wie viel Religion braucht der Staat?

 Die Baden-Württembergische Landesverfassung gibt ja vor, dass die Jugend im „Geist des christlichen Sittengesetzes“ zu erziehen sei – das ist eine starke Vorgabe. Auch vom Grundgesetz her ist der Religionsunterricht per Verfassung geschützt, weil die Väter und Mütter des Grundgesetzes ja so schlau waren, dass sie erkannt haben, dass der Staat sich aus religiösen Dingen rauszuhalten hat, dass er aber sehr gut daran tut, die bestehenden Religionen zu schützen und auch dafür zu sorgen, dass sie im Kanon der Fächer einer Schulbildung vorkommen. Mit den Staatsleistungen – das ist so ein Thema, wo ich immer mal wieder von Menschen aus der ganz linken oder ganz rechten Szene – die AfD hat das jetzt aufgegriffen – angegangen werde, die Staatsleistungen abzuschaffen. Das sind Rechtstitel, die die Kirche hat. Ich sage immer: Wenn Sie von Ihren Urgroßeltern ein Haus geerbt haben, dann würden Sie sich auch beschweren, wenn ich jetzt käme und sagen würde: Dieser Rechtstitel ist 200 Jahre alt, das nehme ich Ihnen jetzt weg! Das würde kein Gericht der Welt akzeptieren. Genauso spielt es für einen Rechtsanspruch der Kirchen – Ausgleich für Enteignungen, die ihnen auf schreckliche Weise widerfahren sind, in der Reformation oder Anfang des 19. Jahrhunderts, keine Rolle, wie alt der Titel ist. Aber diese Gelder, die die Kirchen bekommen, die bekommen lustigerweise auch Gruppen, die immer die Staatsleistungen anfeinden, also zum Beispiel die Humanisten oder die Freireligiösen. Denen ist überhaupt nie irgendetwas weggenommen worden, und die bekommen in Analogie zu den Kirchen Staatsleistungen.

 Unser Staat, unser Land – das zeigen die gesetzlichen Regelungen – gesteht den Kirchen eine wichtige Rolle in der Gesellschaft zu. Sie haben auch erklärt, warum das Ihrer Meinung nach Sinn macht. Sehen Sie darin auch eine besondere Verantwortung für uns Christen für die Gesellschaft?

In jedem Fall! Ich gelte ja als jemand, der das auch sehr offen sagt hier in Stuttgart und da sich auch politisch einmischt, weil es mir auch – seit meiner frühsten Jugend an und seit mir klar war, dass ich für diese Kirche leben will und mich da engagieren – weil mir klar war, dass das Christentum nicht darin besteht, sich zurückzuziehen oder irgendeinen Spiritualismus zu pflegen, sondern dass das Reich Gott, das nicht von dieser Welt ist, aber sehr wohl eine Wirkung in dieser Welt zu entfalten hat. Wir können und dürfen uns nicht raushalten. Und am schlimmsten, das sage ich Ihnen ehrlich, sind für mich so christlich-religiöse Couchpotatoes, die sozusagen ihre schönen Ideale im Kopf haben, aber sagen: Ach, die Politik ist so anstrengend, da muss man zu so vielen Sitzungen, und es ist so mühsam und auch alles ein bisschen dirty – da wollen wir uns nicht die Finger schmutzig machen. Wir wissen’s dann lieber besser und sagen den Politikern, was sie zu tun haben. Das halte ich für völlig falsch. Wir müssen uns als Christen um unser Gemeinwesen kümmern, es ist auch unsere Gesellschaft, unser Staat!

Wenn Sie an den Ort denken, wo Sie zuständig sind, an Stuttgart – haben Sie konkrete Ideen, wie sich Christen einbringen können in die Stadtgesellschaft?

 Ja, das fallen uns immer wieder Dinge ein. Beispielsweise feiern wir dieses Jahr „100 Jahre Caritasverband für Stuttgart“ und haben das unter das große Thema „Gerechtigkeit“ gestellt. Und das ist eine Grundfrage des Zusammenlebens, gut und in gerechten Strukturen miteinander zusammenzuleben, gerade in einer Stadt, die so mulitkulturell wie Stuttgart ist, aber immer wieder auch zu fragen, beispielsweise: Wer kann sich leisten, hier zu wohnen? Ist Stuttgart nur noch eine Stadt für Reiche? Ich finde, das darf nicht sein. Wir müssen auch darauf achten, dass es genug Wohnraum für Menschen mit kleinen Einkommen gibt. Stuttgart darf keine Luxusstadt werden.

 Wir sind mit unseren Überlegungen beim heutigen Feiertag gestartet, Fronleichnam. Wie würden Sie für sich persönlich beschreiben, was Sie als Katholik heute feiern? Und: Was würde Ihnen persönlich fehlen, wenn Fronleichnam kein arbeitsfreier Tag in der Gesellschaft, kein gesetzlicher Feiertag, mehr wäre?

Ich bin froh, dass Fronleichnam ein Feiertag ist. Wir würden schon auch ohne auskommen, in vielen Ländern ist das ja auch so. Aber Fronleichnam ist natürlich für jeden Katholiken in Hochfest. Es findet ja naturgemäß in der warmen Jahreszeit statt. Der Tag beginnt für mich – wie für viele andere – damit zu gucken, wie das Wetter wird, ob man den Gottesdienst open air feiern kann mit großem Tschingderassabumm, mit Blasmusik. Das schaffen wir sogar hier in Stuttgart. Um 10 Uhr feiern wir auf dem Schlossplatz den Fronleichnamsgottesdienst mit Prozession durch die Stadt, mit Blumenteppich und mit vielen Menschen. Und ich finde es auch ein schönes Zeichen, dass wir mit Gott auf die Straße gehen. Das spricht genau auch dafür: Christentum hat sich nicht zu verstecken, hat sich nicht zurückzuziehen, sondern wir müssen rausgehen, wir müssen uns zeigen, wir müssen uns mit Gott auf dieser Welt auf den Weg machen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24449
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