SWR1 Begegnungen

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Wolf-Dieter Steinmann, evang. Kirche, trifft Filiz Kuyucu, Sozialarbeiterin in Mannheim im Erstaufnahmelager, auf dem DEKT in Berlin

CU in the mirror of God’s eyes

Die 25- jährige war eine von 4 jungen Leuten, die am Donnerstag Barack Obama und Angela Merkel auf dem Filiz KuyucuKirchentag begegnet sind, eine große Ehre für sie:

Ich treff zwei sehr besondere Persönlichkeiten, sehr aufregend und sehr viel Vorfreude, bis natürlich aber auch absolute Nervosität: Beherrsch ich meine Frage? Wird meine Frage auch richtig beantwortet?

Die hat Filiz Kuyucu, die als Sozialarbeiterin täglich mit Flüchtlingen arbeitet, lang überlegt.

Ich hab gesagt, dass mir bewusst ist, dass die Politik mit verschiedenen Herkunftsländern an Lösungen arbeitet, und hab dann wirklich gefragt, was können sie jetzt tun, dass weniger Menschen auf dem Mittelmeer sterben.

Zufrieden war sie mit den Antworten von Merkel und Obama nicht. Enttäuschung habe ich gespürt, als wir uns Stunden danach getroffen haben.

Persönlich habe ich das Gefühl, es gab keine konkrete Antwort, dass wirklich auch jetzt noch mehr Menschen gerettet werden müssen.

Aber ich glaube, das facht ihr Feuer und ihr Engagement auch an. Davon hat sie reichlich, das hab ich auch gespürt am Donnerstagabend. Da hat sie mit 30 jungen Leuten ihr Stück auf die Bühne gebracht. Die Hälfte aus der Evangelischen Studierendengemeinde in Mannheim und die andere Hälfte junge Schwarze aus Chicago: Videos, Interviews und die große Power der Gospelmusik machen das Stück aus.

Es ist natürlich, ich finde, ein sehr bedeutsames Stück. Einfach, weil wir sehr viel gelernt haben in diesem Austausch, womit die Leute täglich leben müssen. Hinzu kam, dass mir wichtig war dass man die Thematik wirklich richtig versteht.
Diese Kraft und Energie mit denen die Leute aus Chicago singen, die steckt einen auch wirklich an und wir haben auch gelernt, was es bedeutet zu singen: Freiheit, seine Stimme zu erheben. Und das verbinde ich jetzt auch viel mehr mit singen.

Den Rassismus hat sie kennengelernt vor 6 Wochen in Chicago. Beim Austausch in einer der größten schwarzen Gemeinden dort. Einen Schwarzen hat sie gefragt: Fühlst Du dich als Amerikaner oder Afrikaner?

Als ich die Antwort bekommen habe „mehr als Afrikaner aufgrund der Geschichte“. Das ist ne Aussage, die musste ich erst mal verdauen.

Nach 6 Generationen immer noch auf dem falschen Kontinent?
Ein anderer hat gesagt: Wenn er einem weißen Polizisten begegnet, ist sofort dieser Angstfilm da mit denen, die aus so ner Begegnung nicht heil nach Hause gekommen sind. In der Gospelmusik steckt das drin.

Wie das einen auch mit den afrikanischen Wurzeln verbindet und man es dadurch einfach nie ganz verliert, weil man einfach weiß, wie sehr die Vorfahren gelitten haben, und der Rassismus nach wie vor da ist und die Leute tagtäglich kämpfen müssen.

Kampfgeist kommt aus dem Glauben. Ihr Stück heißt darum- „Einander sehen im Spiegel der Augen Gottes.“ Gott sieht die die leiden. Filiz Kuyucu ist das sehr nah gekommen. Als Versprechen  und Frage: Sehe ich andere ohne Vorurteil?

Gott sieht mich, aber es macht einem auch bewusst, andere Menschen noch mal zu sehen und wie sieht Gott diese Menschen und wie  sehe ich diese Menschen. ‚So viel Schwarze sind im Gefängnis, vielleicht sind die Schwarzen einfach krimineller?‘ Da kann man viele eigene Vorurteile aufbrechen.

Apropos: Wen sehen Sie, beim Namen „Filiz Kuyucu“?
Türkische Wurzeln? Richtig. Aber sie ist auch evangelisch und Deutsche. Wie das, erzähle ich nach dem nächsten Titel.

 

Erst Mensch, dann Afroamerikaner, Flüchtling , Moslem, Christ…..

Filiz Kuyucu hat bewegte Wochen erlebt: In Chicago eingetaucht in eine schwarze Gemeinde. Mit schwarzen und weißen Freunden auf dem Kirchentag ihr Stück aufgeführt. Angela Merkel und Barack Obama getroffen.
Bewegt leben, das passt zu ihr: Ihr Vater ist Türke, Muslim, die Mutter, Deutsche und Christin. Ihre Eltern haben ihr beide Religionen eröffnet. Bei der Konfirmation hat Filiz sich entschieden: Evangelisch.

Im Endeffekt gibt es nur einen Gott, aber mir hat das Evangelium einfach viel mehr zugesprochen und ich habe mich da viel geborgener gefühlt und habe mich dann bewusst entschieden, taufen zu lassen. Das war sehr schön, weil ich hatte den kompletten Rückhalt meiner Familie.

Sozialarbeit hat sie studiert. Seit 4 Jahren arbeitet sie mit Geflüchteten. Und hat von ihnen viel gelernt über sich und ihren Glauben.

 Ich glaube, aber ich zweifle auch so oft. Ich treffe so viele Menschen, die viel Stärke aus ihrem Glauben ziehen und der Zweifel doch so viel geringer aussieht.

Für viele Geflüchtete, die sie begleitet - Muslime, Hindus, Christen – ist der Glaube ein starker Halt: Oft das einzige, was man ihnen nicht nehmen kann.
Und in der schwarzen Gemeinde in Chicago hat sie neu erlebt, wie wichtig Gemeinde ist: Weil man den anderen Gott ansehen kann.

Ich geh zwar zur Kirche, aber mir war die Gemeinde an sich nie so wichtig. Mir war mein Glaube wichtig. Aber wenn man es wirklich sieht, dann weiß man OK, Gott ist immer bei mir, auch wenn ich zweifle. Dann ist das was unwahrscheinlich Wertvolles.

„Du siehst mich, Gott,“ ist ein Glaubensbekenntnis aus der Bibel. Eine schwangere Frau hat es gesagt. Sie war in die Wüste geflüchtet, weil ihr Leben so furchtbar war. Jemand findet sie. Und schickt sie zurück in ihr Leben. Für sie ein „Engel Gottes“. Und tatsächlich, sie geht.
Filiz bedeutet diese Geschichte sehr viel. Auch für ihre Arbeit mit Flüchtlingen.

Wenn ich es auf meine Arbeit beziehe, dann leben sie ja in einem System, das darauf gerichtet ist, nicht gesehen zu werden. Daher ist auf jeden Fall viel wert, wenn die Leute sehen, es gibt Leute, die sehen mich, weil ich denke, das Schlimmste ist, allein zu sein und zu wissen, ich existier eigentlich für niemanden mehr.

Dann können wir auch so etwas wie Engel sein, wenn wir andere sehen?
Da bremst sie. Halt geben, ja, aber Leben retten, das nicht. Und dass der Engel die Frau zurückschickt, will sie auch nicht direkt aktualisieren.

Ich arbeite im Flüchtlingsbereich. Die Leute fliehen. Wenn ich denen jetzt sagen würde: ‚Du bist nicht allein, geh zurück.‘! Das ist etwas, was sehr schwer vorstellbar ist. Freiwillig zurück in diese Gefahr zu gehen, von der man gerade geflohen ist.

Aber im nächsten Moment spüre ich wie die Geschichte in ihr weiter denkt.

Ich kann sehen, dass es manchmal ja auch das Bessere ist, zurück-zugehen. Das heißt, nur weil man von etwas geflohen ist, nicht dass es dadurch besser wird. Und wenn man weiß, dass man nicht allein ist…

Weil Gott einen sieht….
Ich gehe ganz erfüllt. Dabei bin ich Filiz Kuyucu das erste Mal begegnet. Ich habe aus dieser jungen Frau den Geist Gottes gespürt, der Menschen trägt und der einem hilft; Menschen zu sehen.

Das ist der erste Schritt, hier steht kein Moslem vor mir, hier steht kein Flüchtling vor mir, hier steht kein Afroamerikaner vor mir, hier steht ein Mensch, so wie ich einer bin.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24326
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