Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Ein Glaube, der nicht in die Krise gerät, um an ihr zu wachsen, bleibt infantil.“ Das hat einer gesagt, der sich mit dem Glauben auskennt: Papst Franziskus. Vor zwei Wochen habe ich es so in der Zeitung gelesen, in einem langen Interview, das Giovanni di Lorenzo, der Chefredakteur der Zeit, mit dem Papst führte. Di Lorenzo fragte den Papst über den Umgang mit Glaubenskrisen und dass dies wohl ein Tabuthema in der katholischen Kirche sei. Und darauf meinte der Papst. „Ich will nicht sagen, dass die Krise das tägliche Brot des Glaubens ist, doch ein Glaube, der nicht in die Krise gerät, um an ihr zu wachsen, bleibt infantil.“ Also ein Glaube, der keine Krise kennt, bleibt in den Kinderschuhen stecken. Ich versuche es jetzt schon mehrere Jahrzehnte: das mit dem Glauben. Und im Großen und Ganzen bin ich damit bis jetzt auch gut gefahren. Ich lebe gerne, bin eher ein fröhlicher Mensch, fühle mich wohl dort, wo ich lebe und hoffe, dass es gut ausgeht mit meinem Leben. Und trotz dieser eher optimistischen Grundhaltung kenne ich auch die Glaubenszweifel. Des Öfteren frage ich mich: Ist das wirklich wahr, die Geschichte mit Jesus und mit Gott, dem gütigen Vater im Himmel. Die Sache mit der Auferstehung und dem Leben nach dem Tod. Bei vielen Beerdigungen stelle ich mir die Frage, werde ich diese Verwandte, diesen Freund wirklich wiedersehen - da irgendwo im Jenseits? Oder ist das Ganze nur ein Märchen, eigentlich viel zu schön um wahr zu sein. Wissen, tue ich es nicht. Glauben – gerne, aber es klappt nicht immer.

Deshalb haben mir die Worte des Papstes gut getan. Krisen gehören zum Glauben dazu. Mehr noch: Ohne sie kann der Glaube nicht wachsen, er bleibt in den Kinderschuhen stecken. Wenn schon der Papst so klare Worte dazu findet, gibt es eigentlich keinen Grund, Glaubenskrisen zu einem Tabuthema zu machen.

* Die Zeit – Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft, Wissen und Kultur. 9. März 2017 Nr.11, S. 15

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23934
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